Steve Lee
(5. August 1963 – 5. Oktober 2010)
Wertbeständig wie Schweizer Uhren, beliebt wie die Alpen: Einige der Gotthard-Alben haben Rockgeschichte geschrieben.
Welch tragisches Ende einer beispielslosen Erfolgsgeschichte: Am 5. Oktober 2010 verunglückte Steve Lee, Frontmann der Schweizer Rockband Gotthard, während eines Motorrad-Trips mit Freunden auf der amerikanischen Interstate 15 zwischen Mesquite und Las Vegas tödlich. Etwa 50 Kilometer vor Las Vegas hatte die Gruppe aufgrund einsetzenden Regens am Straßenrand anhalten müssen, auf der rutschigen Straße geriet der Anhänger eines vorbeifahrenden LKWs ins Schleudern und erwischte fünf parkende Motorräder, eines davon traf Steve Lee. Gegen 16:13 Uhr Ortszeit konnten die herbeigerufenen Rettungskräfte nur noch seinen Tod feststellen. Ob damit auch das Ende von Gotthard verbunden ist, steht zurzeit in den Sternen.
Bis zum Tag der tragischen Ereignisse waren Gotthard zusammen mit Krokus die national erfolgreichste Schweizer Rockband aller Zeiten, weltweit gingen mehr als zwei Millionen ihrer Tonträger über den Ladentisch, allein die Hälfte da-von in der Heimat. Sechs Scheiben schaff-ten Platin, fünf erreichten Doppel-Platin und eines sogar Dreifach-Platin – so liest sich wahrer Triumph. Dabei hing zu-nächst der große Schatten von Krokus über der Band, als sie Anfang der Neunziger die Bildfläche betrat, zumal sich Krokus-Bassist Chris Von Rohr auf ihrem Debütalbum GOTTHARD als Produzent und Co-Komponist eingebracht hatte. Doch die Fans jubelten – und auch die Medien zeigten sich beeindruckt, wie schnell sich die Gruppe zur festen Institution der Rock- und Metal-Szene entwickelte.
Zwischenzeitlich kamen Gotthard kurzfristig von ihrem musikalischen Weg ab: Der geschäftstüchtige Von Rohr glaubte ein riesiges Mainstream-Potential er-kannt zu haben, sah Gotthard perspek-tivisch als europäisches Pendant zu den Eagles oder Bon Jovi und verordnete einen gemäßigteren Pop-Rock-Kurs ohne die gewohnt schneidigen Gitarren.
Die abgeschwächte Variante stieß bei der Rockpresse allerdings auf schroffe Ablehnung – und auch die Musiker äu-ßerten ihren Unmut über diesen zweifelhaften Schachzug. Deshalb trennte sich die Band 2003 von ihrem Mentor und griff seit HUMAN ZOO (2003) wieder härter in die Saiten.
Unverzichtbar
Der Überraschungseffekt ist auf Seiten der Schweizer, als sie 1992 mit einem Debüt aufwarten, das stilistisch (und qualitativ) mühelos in der Region um Whitesnake ansetzt. Der Sound noch etwas roh und ungeschliffen, die Ideen dafür aber sofort zündend und mittels energetischer Rockgitarren, dröhnender Hammond-Orgel und bluesigen Gesängen absolut hingebungsvoll intoniert. Das hymnische ›Firedance‹ lässt den Fan niederknien, die überzeugende Deep Purple-Adaption ›Hush‹ an die Zeitlosigkeit von Rockmusik glauben. Und mit der Ballade ›All I Care For‹ deuten Gotthard bereits früh an, welch großes Radiopotenzial die Band besitzt.
G.
bmg/Ariola., 1996
Nach der etwas steifen Zweit-Scheibe, die nicht die unbekümmerte Vitalität des Debüts konservieren kann, legen Gotthard mit ihrem Drittwerk G. (gesprochen: G-Spot) ihren bis heute unumstrittenen Klassiker vor. Auf G. treffen die Musiker die goldene Mitte zwischen erdigem Hard Rock, eingängigen Melo-dien und zeitlosen Arrangements. Gleich die drei ersten Nummern ›Sister Moon‹, ›Make My Day‹ und das Manfred Mann-Cover ›Mighty Quinn‹ manifestieren, dass Gotthard endgültig die Erfolgsformel gefunden haben. In dieser atmosphärischen Dichte wirkt auch die abschließende Schmonzette ›One Life, One Soul‹ durchaus stimmig.
Wunderbar
Im Vergleich zum Debüt kann der 1994er-Nachfolger zwar weniger überraschen, seine Fans aber dennoch mit einer handfesten Mixtur aus Rock, Metal und Blues überzeugen. Produziert wird DIAL HARD in Amerika – ein Zeichen für das gestiegene Selbstbewusstsein von Gotthard. Die bewusste Orientierung am US-Markt baut allerdings auch ein gewissen Druck auf. Der Opener ›Mountain Mama‹ gehört dennoch zu den stärksten Nummern der Gotthard-Historie, das erneute Covern (diesmal ›Come Together‹ von den Beatles) ist aufgrund der Wiederholung indes nicht mehr so spannend.
Domino Effect
Nuclear Blast/Warner, 2007
Diese Scheibe ist – nach dem gelungenen Vorgänger LIPSERVICE (2005) – die endgültige Bestätigung, dass Gotthards Rückkehr in die Heavy-Szene richtig war und der Ausflug ins Pop-Genre mit OPEN (1998) und HOME-RUN (2001) nun der Vergangenheit angehört. DOMINO EFFECT bietet die Sorte Kraftrock, die man sich von dieser Band wünscht. Nicht alles ist so über-zeugend wie der ganz fabelhafte Opener ›Master Of Illusion‹, aber die leicht orientalischen Einflüsse und eine kernige Produktion stehen der Band glänzend zu Gesicht. Da lassen sich auch die vier (!) Balladen einigermaßen verschmerzen.
Need To Believe
Nuclear Blast/Warner, 2009
Mit NEED TO BELIEVE verdeutlichen Gotthard mehr denn je, dass sie keine externen Orientierungspunkte mehr benötigen. Die Band hat ihren eigenen, unvergleichlichen Stil etabliert. Sicherlich besitzt das Album neben dem imposanten Opener ›Shangri La‹ auch einige durchschnittliche Kompositionen, aber die Art der Arrangements und die Produktion beweisen absolute Klasse. Zudem bedient die Scheibe in punkto Spielweise und Sound moderne Hörgewohnheiten und mischt diese geschickt mit dem traditionellen Songwriting. Eine Tragödie, dass Frontmann Steve Lee hier nicht mehr anknüpfen kann.
Anhörbar
Ein cleverer Schachzug von Produzent Chris von Rohr: Bevor er Gotthard Ende der Neunziger einen radiotauglicheren Mainstream-Kurs verordnet, überprüft er das bisherige Material auf sein kommerzielles Potenzial. Die Aufnahmen zum Live-Album D-FROSTED finden – mit überwiegend akustischen Instrumenten – vor Schweizer Publikum statt, verzerrte Rockgitarren fehlen. Das Ergebnis verblüfft und ist, ganz im Sinne von Rohrs, zugleich zukunftsweisend: Gotthard öffnen sich für ein neues Publikum. Erstaunlich: Auch pure Rocktracks wie ›Sister Moon‹ oder ›Mountain Mama‹ funktionieren in diesem Umfeld.
So ganz scheinen die Band und ihr geschäftliches Umfeld von der Mainstream-Abkehr noch nicht überzeugt zu sein. Zudem verläuft die Trennung von ihrem einstmaligen Mentor von Rohr nicht ganz ohne Wundschmerz, weder menschlich noch kompositorisch. In Anbetracht dieser Umstände ist HUMAN ZOO ein erstaunlich rundes Werk, selbst wenn Gotthard hier keine konsequente Emanzipation wagen, sondern sich in punkto Songwriting und Produktion ein kleines Hintertürchen offenhalten. Gleichzeitig offenbart das sechste Studiowerk unmissverständlich: Diese Band eifert bereits seit geraumer Zeit keinerlei Vorbildern mehr nach.
Lipservice
NuCLear Blast/Warner, 2005
Mit dem Plattenfirmenwechsel dokumentierten Gotthard 2005 gleich zweierlei: ihre künstlerische Unabhängigkeit (die Bands bei einem Major bekanntlich nur begrenzt eingeräumt wird) und ihr klares Bekenntnis zur Heavy-Szene – dokumentiert durch die Unterschrift bei einem reinen Metal-Label. Natürlich mutiert die Band damit nicht gleich zu Grunz-Monstern, sondern zelebriert auch auf LIPSERVICE einen energischen Rock mit Ohrwurm-Qualitäten. Aber so konsequent rockend hat man Gotthard fast zehn Jahre nicht mehr gehört. Andererseits: Von ihrem ge-wohnt reichhaltigen Balladenprogramm lassen sie sich auch hier nicht abhalten.
Open
BMG, 1998
Ermuntert durch die positiven Resonanzen und glänzenden Verkaufserfolge ihres Akustik- Live-Werks D-FROSTED (1997) vollziehen Gotthard 1998 einen ziemlich radikalen Paradigmenwechsel. Bon Jovi, Springsteen oder die Eagles sind nunmehr die offenkundigen Idole, nicht mehr Whitesnake & Co. Kommerziell steigern Gotthard mit OPEN ihre Bilanz, musikalisch dagegen verliert die Musik der Schweizer an Eigenständigkeit und Kontur. Für Management und Label zwar ein lohnender Schritt, für Gitarrist Leo Leoni je-doch eine Unterforderung – und für die tolle Rockstimme von Sänger Steve Lee eindeutig die falsche Entscheidung.
Verblendet durch die sehr guten Verkaufszahlen ihres Kurskorrektur-Albums OPEN verfolgen Gotthard auch auf HOMERUN einen schwachbrüstigen Pop-Kurs, der zwar durch die Beförderung von Gitarrist Leo Leoni zum Co-Produzenten ein paar handfeste Gitarren zulässt, ansonsten aber den Mainstream-Kurs fortsetzt. Der auf dem Cover abgedruckte Bumerang ist sinnbildlich: Er schleudert zurück, denn diesmal greift die Band auch kompositorisch einige Male daneben: ›Take It Easy‹ mit seinem gruseligen Text passt allenfalls in Bierzelte, und ›Reason To Live‹ ist offensichtlich ein halbgarer Rip-Off von Whitesnakes ›Is This Love‹.
Traumsampler
Master Of Illusion
Domino Effect
Mountain Mama
Dial Hard
Firedance
Gotthard
Sister Moon
G.
Make My Day
G.
Shangri La
Need To Believe
Mighty Quinn
G.
All We Are
Lipservice
Hush
Gotthard
Human Zoo
Human Zoo
Domino Effect
Domino Effect
One Life, One Soul
G.
Dream On
Lipservice
Top Of The World
Human Zoo
Heaven
Homerun
I Wonder
Lipservice
Unconditional Faith
Need To Believe