Radio Haze aus Niederbayern spielten schon vor der großen Welle Retro-angehauchten Rock’n’Roll und klingen seit jeher trotzdem irgendwie anders. CLASSIC ROCK traf das Trio in Regensburg zum Interview.
Abensberg, Niederbayern. Was vorerst nach einer idyllischen Mischung aus Spargel und Dorfjugend klingt, erweist sich auf den zweiten Blick als fruchtbarer Boden für junge Nachwuchsbands, vor allem aus dem Punk- und Metalbereich. Radio Haze ist wohl eine der eminentesten Gruppen, die vor zehn Jahren genau hier zusammenfand, um mit ihrem vielversprechenden Haze Rock Schritt für Schritt die Umgebung zu erobern.
Haze Rock? So beschreibt die Band ihren Stil, der zwar grundsätzlich im Retrobereich fußt, jedoch nicht strikt dessen totgetrampelten Trend-Pfaden folgen möchte: „Heute gibt es so viele Bands in dem Bereich, die oft genau klingen möchten wie… Und davon wollten wir uns immer schon abgrenzen und unseren eigenen Stiefel spielen, zwar mit den selben Einflüssen, aber eben zu etwas Neuem vermengt“, so Frontmann Phil und Drummer Air im Interview. „Trends waren uns einfach schon immer scheißegal. Unser Sound ist die Essenz von 50 Jahren Rockgeschichte, die durch unsere drei Persönlichkeiten jeweils verschieden gefiltert wird und zusammenfließt“, ergänzt Bassist und Produzent Hubi. Schließlich erschien die erste EP des Trios vor über zehn Jahren – „ungefähr zu der Zeit, als Wolfmother ihre erste Platte rausbrachten“ – und lässt sich folglich noch vor dem Losbrechen der alles überrollenden Retrowelle einordnen.
Denn obwohl hier deutlich das strahlende musikalische Vermächtnis der 60er und 70er Jahre durchschimmert, so klingen Radio Haze doch immer irgendwie ein wenig, naja, anders und nach sich selbst. So auch die neue Platte MOUNTAINS, die vier Jahre auf sich hat warten lassen: „Der Titel verrät es schon: Im Leben gibt es viele Aufs und Abs. Dafür steht MOUNTAINS natürlich auf metaphorischer Ebene. Das Album hat etwas länger gebraucht, da unsere persönlichen Lebensumstände viel ausgemacht haben. Wir wohnen inzwischen an drei verschiedenen Orten (Regensburg, Nürnberg und Abensberg), außerdem habe ich ein neues Studio gebaut, wo wir aufnehmen wollten.“
Zwei Attribute zeichnen das neue Werk besonders aus: Erstens das offenkundige Betonen, beim Produzieren vor allem in Hinblick auf das Medium Vinyl auf Dynamik statt auf sinnloses Lautstärkegeprahle zu setzen – der etwa zehnminütige und höchst fundierte Monolog von Sound-Experte Hubi zu diesem Thema würde an dieser Stelle leider etwas den Rahmen sprengen, deswegen sollten Interessierte einfach mal „loudness war“ googeln – und zweitens die äußerst persönlichen und sinnsuchenden Texte, die fast schon nach einer vorgezogenen Midlifecrisis klingen und für Schreiber Phil eine therapeutische Wirkung innehaben: „Ich verarbeite da Sachen, die mir passiert sind und die ich beobachte. Hier ist ein großes Spektrum abgedeckt, es sind alle Phasen abgebildet, die wir durchlaufen haben. Zerbrochene Beziehungen, verlorene Liebe, gesellschaftliche Beobachtungen, ohne jedoch den moralischen Zeigefinger hochhalten zu wollen. Der Wunsch, nochmal von vorne anfangen zu können. Du hast Recht, das klingt nach Midlifecrisis.“ (lacht)
Hinzu komme natürlich auch das Alter, in dem man nicht mehr nur über Partys und sinnlose Besäufnisse schreiben möchte und kann, vor allem, da sich alle drei Musiker in gefestigten Lebenslagen und Beziehungen befinden. „Also ich nicht“, wendet Phil an dieser Stelle knapp ein. (Der sofort folgende und äußerst kokett geratene Augenaufschlag von Frau Autorin soll an dieser Stelle lieber nicht erwähnt werden.) Um die nötige Portion Sex und Drugs zum Rock’n’Roll muss sich der Frontmann also eher alleine kümmern. Sollte kein Problem darstellen. Auf die Scherzfrage, was Radio Haze denn gerne mal in einem Interview über sich selbst lesen würden, kontert er lachend: „Süß, aber gefährlich!“. Hätte ich doch als Überschrift nehmen sollen…
Die Review von MOUNTAINS:
Irgendwie (angenehm) anders.
Retro-Rock und kein Ende in Sicht. Zwar groovt auch das deutsche Trio Radio Haze im immer noch angesagten Spannungsfeld zwischen 70er-, Psychedelic- und Stoner-Rock, ist aber irgendwie anders. Das liegt nicht nur daran, dass Englisch nicht die Muttersprache des Sängers ist, Radio Haze haben tatsächlich eine eigene Sound-Note. Es wird nicht auf Teufel komm raus versucht nach Led Zeppelin zu klingen, sondern den Dingen und der Musik ihr Lauf gelassen. Abwechslungsreich komponiert und vielfältig instrumentiert – gerne auch mit fuzzigen Gitarren – geht es hier variantenreich zur Sache. Harmonisch und angenehm unaufdringlich rocken die drei Musiker aus Abensberg, Regensburg und Nürnberg ihr ganz eigenes Ding. Ansprechend sind auch tendenziell ruhigere Nummern wie ›Lay My Hopes Across The Sea‹ oder das irgendwie – schwer zu erklären warum – an ›In Zaire‹ von Johnny Wakelin aus den 70er-Jahren erinnernde ›Chasing Gaslights‹. Sehr spacig und psychedelisch geriet auch ›Into The Ether‹ mit vielen Klang-Waben und wabernden Klängen. Gegen Ende wird MOUNTAINS mit Saxofon-Einsatz sogar kurzfristig experimentell, perkussiv und jammig. Das klingt natürlich alles schon ziemlich vintage, ist aber doch auch zeitgemäß. Diese Band ist tatsächlich gar nicht so leicht zu fassen und gerade deshalb auch sehr interessant.
7 von 10
Martin Buchenberger