LET IT BE war am 31. Januar 1969 fertiggestellt worden und die ersten Sessions zu ABBEY ROAD fanden nicht mal einen Monat später statt. Zunächst nur sporadisch und oft von anderen Ereignissen unterbrochen, doch ab Juli wurden sie strukturierter.
22. Februar. Die Beatles und Organist Billy Preston starten in den Londoner Trident Studios die Aufnahmesessions, die zu ihrem elften Album, ABBEY ROAD, führen sollten. Dabei nehmen sie auch einen Backing-Track für Lennons Song ›I Want You (She’s So Heavy)‹ auf.
Paul McCartney: Vor den ABBEY-ROAD-Sessions mussten wir die Boxhandschuhe ausziehen und versuchen, uns wieder zusammenzuraufen, um ein wirklich besonderes Album zu machen.
George Martin: Niemand wusste mit Sicherheit, dass es ihre letzte Platte werden würde – aber alle fühlten es.
George Harrison: [›I Want You‹] ist sehr heavy. John spielt die Leadgitarre und singt genauso, wie er spielt. Dieses Riff, das er da singt und spielt, ist ein ziemlich primitives Blues-Ding. Dennoch ist es ein sehr origineller Song, so wie sie John eben machte.
25. Februar. Harrison ist in den Abbey Road Studios und beginnt mit der Arbeit an seinem Song ›Something‹, inspiriert von seiner Frau Patti Boyd.
George Harrison: ›Something‹ ist ein Song, den ich gegen Ende des Weißen Albums geschrieben habe … aber ich stellte ihn nie fertig. Mir fiel nie ein passender Text dafür ein. Außerdem gab es da ein Stück von James Taylor mit dem Titel ›Something In The Way She Moves‹. Ich dachte, ich sollte vielleicht den Text ändern, aber das waren die Worte, die mir beim Schreiben zuerst in den Sinn kamen, also beließ ich es dabei und nannte die Nummer einfach nur ›Something‹.
20. März. John Lennon und Yoko Ono heiraten in Gibraltar.
John Lennon: Wir wollten auf eine Fähre über den Ärmelkanal heiraten. Das war der romantische Teil, als wir nach Southampton fuhren. Doch dann durften wir nicht an Bord, weil sie keine Britin war und kein Tagesvisum für die Überfahrt bekam. Sie sagten: „Ihr könnt sowieso nicht heiraten, der Kapitän darf das nicht mehr.“ Dann waren wir schließlich in Paris und riefen [Apple-Direktor] Peter Brown an. Wir sagten: „Wir wollen heiraten, wo können wir das tun?“ Und er rief zurück und sagte: „Gibraltar ist der einzige Ort“.
25. – 31. März. Statt traditioneller Flitterwochen veranstalten John und Yoko ihr „Bed-in“ für den Frieden im Hilton Hotel in Amsterdam.
John Lennon: Wir wussten, dass die Zeitungen darüber berichten würden, egal, was wir taten. Also beschlossen wir, den Raum, den wir im Zuge unserer Heirat sowieso beanspruchen würden, als Werbung für den Frieden zu nutzen. Wir wollten unser Produkt verkaufen, das wir „Frieden“ nannten. Und um ein Produkt zu verkaufen, braucht man ein Gimmick. Das Gimmick, das uns einfiel, war ein Bett.
14. April. Lennon und McCartney nehmen ›The Ballad Of John And Yoko‹ in der Abbey Road auf. Der Song dokumentiert die Schwierigkeiten um die jüngst erfolgte Heirat der Lennons.
Paul McCartney: John kam zu mir nach Hause und wollte, dass ich dabei helfe, ›The Ballad Of John And Yoko‹ fertigzustellen. Er hatte im Wesentlichen schon alles beisammen und brauchte meine Hilfe nur noch für die Aufnahme. Er wollte noch am selben Tag ins Studio gehen und es einspielen, weil er wusste, dass ich Bass und Schlagzeug spielen konnte und er die Gitarre, also konnten wir beide das erledigen.
18. April. John, George und Ringo haben mittlerweile bei Allen Klein unterzeichnet und schicken ein Schreiben an Lee Eastman, in dem sie verkünden, dass sie ihn nicht als ihren rechtlichen Vertreter anerkennen, auch wenn er Paul als Einzelperson vertritt.
Tony Bramwell: Als Klein ins Boot geholt wurde, veränderte sich die Atmosphäre sofort. Man konnte nicht mehr unbekümmert in den Büros der anderen ein und aus gehen. Die Türen waren geschlossen. Er war sehr kontrollsüchtig und wollte nicht, dass man persönlichen Kontakt zu den Beatles hatte.
Paul McCartney: Lindas Vater ist ein großartiger Geschäftsmann. Er sagte: „Wenn du investieren willst, tue das in einem Bereich, in dem du dich auskennst. Wenn du in Computer oder irgendetwas anderes investierst, kannst du ein Vermögen verlieren. Würdest du nicht lieber mit Musik zu tun haben? Bleib in der Musik.“
19. April. Gegen 1 Uhr morgens nehmen John und George im Studio 2 in der Abbey Road Gitarren-Overdubs für ›I Want You‹ auf.
Jeff Jarrett (Tontechniker): John und George gingen ganz in die linke Ecke von Nr. 2, um diese Gitarren-Overdubs zu machen. Sie wollten einen richtig massiven Klang, also nahmen sie Spur um Spur auf … Ich bekam etwas Übersprechen aus seinem Kopfhörer drauf und bat George, ihn etwas runterzudrehen. Er sah mich an und sagte trocken: „So redet man nicht mit einem Beatle.“
26. April. Die Arbeit an ›Octopus’s Garden‹ beginnt in der Abbey Road.
George Harrison: ›Octopus’s Garden‹ ist der zweite Song, den Ringo geschrieben hat. Und er ist, äh … nett, y’know. Ringo langweilt sich als Schlagzeuger. Zuhause spielt er ein bisschen Klavier, aber er kennt nur drei Akkorde. Und dasselbe gilt für die Gitarre. Daher mag er vor allem Country-&-Western-Musik, also hat das Stück auch diese Stimmung. Eigentlich finde ich, dass es ein wirklich toller Song ist, denn auf den ersten Blick wirkt es wie ein simples Kinderlied. Doch der Text ist wirklich großartig.
2. Mai. Die Beatles fangen in der Abbey Road an, eine neue Fassung von ›Something‹ aufzunehmen.
Paul McCartney: Das Lied sprach mich an, weil es eine wunderschöne Melodie hat und sehr strukturiert ist. George dachte wohl, mein Bass sei ein bisschen zu hektisch. Ich meinerseits versuchte, mein Bestes zu geben, doch vielleicht war er einfach an der Reihe damit, mir zu sagen, dass ich es übertrieb.
6. Mai. In den Olympic Studios in Barnes nimmt die gesamte Band den Backing-Track zu ›You Never Give Me Your Money‹ auf, McCartneys persönliches Klagelied über Allen Kleins Einmischung.
Paul McCartney: Ich griff hier direkt Allen Kleins Einstellung uns gegenüber an: kein Geld, nur bedeutungsloses Papier, lauter Versprechen, aus denen nie etwas wird. Es ist im Wesentlichen ein Song darüber, keinerlei Vertrauen in die Person zu haben, die es in das Medley auf ABBEY ROAD geschafft hat. John sah den Humor darin.
9. Mai. George Harrison veröffentlicht das neue Album ELECTRONIC SOUND auf Zapple Records. Im Mai und Juni wird die Arbeit an ABBEY ROAD fast komplett unterbrochen, vor allem, weil alle Bandmitglieder andere Verpflichtungen haben. McCartney nimmt mit Steve Miller auf, Harrison mit Jack Bruce, McCartney und Ringo mit Jackie Lomax. Während dieser Zeit wird auch offiziell bekanntgegeben, dass Allen Klein nun der Manager von John, George und Ringo ist. George fährt dann nach Sardinien in den Urlaub, während Ringo sich in Südfrankreich sonnt.
26. Mai. John und Yoko beginnen ihr zehntägiges Bed-in in Zimmer 1742 des Queen Elizabeth Hotels in Montreal, Kanada.
John Lennon: Die Presse kam und erwartete, dass sie uns im Bett beim Ficken zusehen würde. Sie hatten alle gehört, dass John und Yoko vor der Presse im Namen des Friedens ficken würden … Wir waren ein verheiratetes Paar, im Bett, das über Frieden sprach. Es war eine unserer schöneren Episoden.
Petula Clark: Ich trat im Place Des Arts auf. Spät eines Abends beschloss ich, ihn zu treffen. Die Tür stand für alle offen, das war eine sehr seltsame Atmosphäre. Jedenfalls ging ich rein und da waren sie, sie saßen einfach im Bett. Da passierte nichts Anzügliches.
1. Juli. Die Sessions in der Abbey Road werden fortgesetzt, auch wenn am ersten Tag nur Paul als einziger Beatle anwesend ist und seinen Leadgesang für ›You Never Give Me Your Money‹ aufnimmt. Lennon fehlt, weil er mit Yoko in Schottland im Urlaub ist. An diesem Tag baut er einen Unfall mit ihrem Austin Maxi und landet im Lawson Memorial Hospital in Golspie, Sutherland. Er wird mit 17 Stichen im Gesicht genäht, Yoko mit 14 auf der Stirn, ihre Tochter Kyoko Cox mit vier. Yoko wird Bettruhe verordnet, weswegen Lennon daraufhin von Harrod’s für sie ein Bett in der Abbey Road einrichten lässt, um ihr zu ermöglichen, bei den Aufnahmesessions dabei zu sein. Zudem lässt er ein Mikrofon über ihrem Bett aufhängen, damit sie ihre Gedanken beitragen könne.
2. – 4. Juli. George, Ringo und Paul arbeiten in der Abbey Road an ›Golden Slumbers/Carry That Weight‹. McCartney nimmt zudem das lustige 23-Sekunden-Stück ›Her Majesty‹ auf, das letztlich als Hidden Track am Ende des Albums auftauchen wird.
Paul McCartney: Das war schon witzig, denn eigentlich ist es eine Pro-Monarchie-Nummer, nur in einem leicht respektlosen Ton, aber sehr scherzhaft. Es ist fast wie ein Liebeslied an die Queen.
7. – 8. Juli. Lennon ist nach wie vor abwesend. Die Beatles führen die ersten Sessions zu Harrisons ›Here Comes The Sun‹ durch.
George Harrison: ›Here Comes The Sun‹ wurde an einem schönen, sonnigen Tag geschrieben, in Eric Claptons Garten. Wir waren durch die Hölle gegangen und, na ja, das war ziemlich heftig. An dem Tag hatte ich das Bedürfnis, mich zu entspannen, so als würde ich die Schule schwänzen.
9. – 10. Juli. Die Arbeit an McCartneys ›Maxwell’s Silver Hammer‹ beginnt.
George Harrison: Dieses Stück kostete uns verdammt viel Zeit. Es ist einer dieser Songs, zu denen man sofort mitpfeifen will, ist aber auch ziemlich krank, weil der Typ immer weiter Leute umbringt!
Hallo
Mit großer Freude habe ich die Story zum Beatles Album „Abbey Road“ gelesen.
Ich erwarte jedes Mal mit Spannung die neueste Ausgabe.
Wie wäre es denn mal mit einer Story über T-Rex / Marc Bolan und einem passenden Coverfoto?
Schöne Grüße
„In ihrer Abwärtsspirale war es zweifellos einer der absoluten Tiefpunkte.“
Welche „Abwärtsspirale“? Das „Weiße Album“ gilt doch heute als Meisterwerk und wird von nicht wenigen mit „Pepper“ und „Abbey Road“ auf eine Stufe gestellt.
„Lennons Heroinsucht hatte bei den Aufnahmen zu LET IT BE ihren traurigen Höhepunkt erreicht und die anderen kamen damit schlicht und ergreifend nicht klar.“
Also die Aufnahmen zu „Let It Be“ waren zweifellos schwierig und mit Konflikten durchsetzt. Allerdings eher mit persönlichen als musikalischen. Auch das Umfeld in den Twickenham-Studios und der Zeitdruck spielten eine Rolle. Die in meinen Augen beste Single der Band (wenn man A- und B-Seite berücksichtigt), „Get Back“, entstand immerhin während dieser Sessions.
In Peter Jacksons über sechsstündiger Dokumentation wird das alles sehr deutlich, aber auch, dass manches Vorurteil und Klischee, das seit Jahrzehnten über die Aufnahmen zu „LetIt Be“ kursiert, revidiert werden muss.