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Titelstory: David Bowie – Griff nach den Sternen

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Titelstory: David Bowie – Griff nach den Sternen

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Über den großen Teich

Bowie hat frische Ideen und große Pläne, ist guten Mutes, doch noch ein Stück vom Rockstar-Ruhm abzubekommen – aber er hat auch ein Problem. Ihm fehlt der Gitarrist. Ein Anruf in Hull genügt jedoch: Mick Ronson, letztendlich dann doch scharf auf neue Plattenaufnahmen und erfreut über Bowies Angebot, bei ihm und Angie zu wohnen, kehrt nach London zurück. Im Schlepptau hat er den Bassisten Trevor Bolder und Schlagzeuger Woody Woodmansey, der Bowie bereits auf THE MAN WHO SOLD THE WORLD begleitet hatte. Die späteren Spiders From Mars sind nun also erstmals komplett – und von Bowies neuem Material schwer begeistert. „Ich hielt ihn immer für einen Folkie“, erinnert sich Trevor Bolder, „und hatte keine Ahnung, wie gut er ist. Bis die Arbeiten an HUNKY DORY begannen.“ Woodmansey schlägt in die gleiche Kerbe: „Sein Songwriting war fokussierter, vor allem textlich gelang es ihm, sein Profil zu schärfen. Die neuen Stücke waren wesentlich besser strukturiert und weniger sperrig. Um ehrlich zu sein: Ich hatte nicht gedacht, dass er zu solchen Songs überhaupt in der Lage ist.“ Die Demo-Aufnahmen finden in Haddon Hall statt, alternativ probt die Band in einem Zimmer über einem nahegelegenen Pub.

Bowie_Hunky Dory 2Eine weitere wichtige Inspirationsquelle tut sich für David Bowie auf, denn um sein doch noch erschienenes Al-bum THE MAN WHO SOLD THE WORLD zu promoten, fliegt er erstmals in die USA. Wo man dem androgynen Engländer zunächst keinen sehr herzlichen Empfang bereitet. Die Zollbeamten halten ihn erst einmal eine Stunde lang fest, sichtlich irritiert von Bowies extravagantem Äußeren – etwa dem langen Mantel aus purpurnem Samt oder seinem Schal aus weißem Chiffon. Als er schließlich passieren darf, wirft ihm einer der Zöllner ein gepresstes „Schwuchtel“ hinterher. Auch wenn amerikanische Grenzschützer ge-wiss nicht den durchschnittlichen amerikanischen Pop-Konsu-menten repräsentieren, zeugt diese Anekdote doch vom kommenden „clash of cultures“: In Großbritannien und auf dem europäischen Kontinent entwickelt sich der Glam Rock demnächst zum großen Ding, während der Großteil des US-Publikums dann doch lieber bei Grand Funk Railroad bleiben wird. In New York und Los Angeles herrscht Liberalität, doch in Omaha, Nebraska, oder Port Arthur, Texas, haben Männer mit Make-up, kunstvollen Frisuren und glitzernden Klamotten aus Samt, Seide und Lurex auch weiterhin einen eher schweren Stand. Vom lustigen, provokanten Spiel mit den Geschlechterrollen sind all die braven John-Boys und Jim-Bobs mitsamt ihren Cheerleadern nämlich ziemlich irritiert. Weshalb THE MAN WHO SOLD THE WORLD in den USA auch vorsorglich mit einem anderen Artwork als in Europa erscheint – statt Bowie im Kleid zeigt es einen unverfänglichen Pop-Art-Cowboy.

Bowie lässt sich davon nicht unterkriegen. Zwei Wochen lang durchquert er das Land seiner Idole Andy Warhol und Jack Kerouac, spricht mit Ra-dio-DJs und Zeitungsjournalisten, wirft reichlich Pillen ein und legt so viele Damen flach wie irgend möglich. Den größ-ten Eindruck hinterlassen bei ihm jedoch Lou Reed und Iggy Pop, die ihn schnell zu neuen Gedankenspielen inspirieren: Wie wäre es wohl, das urbane Songwriting Reeds mit Iggys comichafter Bühnenshow zu kreuzen? Könnte man so das ultimative Pop-Idol kreieren?

Doch noch befindet sich Ziggy Stardust in embryonalem Stadium, erst ist HUNKY DORY an der Reihe, für das Bowie in den USA ebenfalls wertvolle Erfahrungen sammelt. Welche, verriet er 1997: „HUNKY DORY reflektierte meine Begeisterung für diesen Kontinent, den ich gerade entdeckt hatte. Erstmals war ich wirklich weit weg von zuhau-se, was mich komplett um-krempelte. Es veränderte mei-ne Sichtweise und nicht zu-letzt auch mein Songwriting.“
Zurück in London, nimmt HUNKY DORY konkretere For-men an: Die Band probt jetzt in einem Apartment, das Ronson, Woodmansey und Bolder gemietet haben, Manager De-fries kümmert sich zeitgleich um einen neuen Plattenvertrag. Die Verbindung zu Tony Visconti hat Defries gekappt, weshalb nach einem neuen Produzenten gefahndet werden muss. Die Wahl fällt auf Ken Scott, der beste Referenzen vorlegen kann: Als Toningenieur hat er nicht nur Bowies zwei zurückliegende Alben betreut, sondern auch die Spätwerke der Beatles seit SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND. Ken Scott äußerte sich dazu im EQ Magazine: „Ich hatte genug, wollte von der Tontechnik endlich auf den Produzentenstuhl wechseln, was ich gegenüber David auch erwähnte. Er meinte, dass er einen neuen Manager habe und ein neues Album aufnehmen wolle. Er würde es zwar gerne im Alleingang produzieren, habe aber Vorbehalte, ob es ihm auch gelänge. Er fragte, ob ich für ihn arbeiten würde. HUNKY DORY war der Anfang meiner Produzententätigkeit für David Bowie, drei weitere Alben folgten.“

Anfang Juni 1971 ist es so-weit, im Londoner Trident Studio wird hart gearbeitet, nämlich von zwei Uhr nachmittags bis Mitternacht, Montag bis Samstag. Fast Food muss als Verpflegung genügen, regelmäßige Teepausen sind für Engländer selbstredend unverzichtbar, gelegentlich wird eine Flasche Wein geköpft. Bolder erinnert sich: „Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in einem Plattenstudio, was ich natürlich enorm aufregend fand. Unsere Arbeitsweise war ziemlich ab-strakt: David spielte uns einen Song vor – meistens einen, den wir noch nie gehört hatten –, dann spielten wir ihn ein einziges Mal gemeinsam und nahmen ihn anschließend auf. Man hatte gar keine Zeit, sich großartige Gedanken darüber zu machen, was man denn spielen würde, es musste hier und jetzt passieren. Was einer-seits nervenaufreibend war, den Songs andererseits jedoch ein gewisses Feeling einhauchte. Wenn man ein Stück im Studio zu oft spielt, kann es sich abnutzen. David wollte wohl die Energie des ersten Takes einfangen, nahm das Risiko von Fehlern in Kauf.“ Auch Woodmansey erinnert sich mit Grauen: „Da herrschte ein immenser Druck. Häufig entschied David spontan, einen anderen Song aufzunehmen, den wir überhaupt noch nicht geprobt hatten. Wir brachen dann in Panik aus, denn David erlaubte maximal drei Takes. Meist war es der zweite Take, der passte. David erkannte sofort, wenn alles stimmte.“ Ken Scott nimmt die Herausforderung an, stets zu allem bereit zu sein, und ist von Bowies Zielstrebigkeit durchaus beeindruckt: „Bei den Beatles-Sessions war das völlig anders, doch David wusste von Anfang an, was er wollte. Sein Gesang wurde meistens in einem Take aufgenommen.“

Alles hört auf Bowie

Generalissimus Bowie, der Befehle erteilt, Pflichterfüllung erwartet und einen strikten Plan hat? Das war nicht immer so. Noch während der Aufnahmen von THE MAN WHO SOLD THE WORLD ist Tony Visconti an Bowies Undiszipliniertheit schier verzweifelt. Statt den Songs den letzten Schliff zu geben, poussierte der nämlich lieber mit Angie in der Studiolobby, ließ sich von allem und jedem ablenken. Doch HUNKY DORY macht aus ihm einen Mann, der einen Auftrag zu erfüllen hat.

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