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Sting: Die Lehre vom „besseren“ Musikhören

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Sting: Die Lehre vom „besseren“ Musikhören

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sting 2016Nach zahlreichen Alben, auf denen Sting das Epische auslotete und sich dafür allerlei archaischer Musiken bediente, findet er mit 65 Jahren noch einmal zurück zur Rockmusik. „57TH & 9TH“ ist allerdings keine Rückkehr zum kantigen, druckvollen Rock von THE Police, sondern eher ein Eintauchen in homöopathisch dosierten US-Rock, der in vielen Fällen mit einer Message verbunden wird.

Man hatte sich jetzt seit bald eineinhalb Jahrzehnten daran gewöhnt, dass Gordon Matthew Sumner, wenn er denn noch mal auf die Rockmusik kam, dies nur im Rahmen von Konzerten tat, wo er mal nur ein paar und manchmal auch eine überraschende Vielzahl an alten Police-Hits in neuem Gewand aufkochte. Seine Studioalben hingegen tauchten tief ab in musikhistorische Zusammenhänge jenseits von Rock- oder gar Pop-Musik, verhandelten, wie auf SONGS FROM THE LABYRINTH, mal die Lau­­tenmusik des mittelalterlichen Komponisten John Dowland, oder dienten, wie auf seinem bislang letzten Album THE LAST SHIP, als Vorlage für ein Broadway-Musical. Rockmusik hingegen schien für Sting ein zu kleiner Schuh geworden zu sein; in älteren Interviews äußerte er sich zumindest dergestalt, dass ihm das Korsett des Rock mittlerweile keine neuen Impulse mehr zu geben versprach.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist sein neues, zwölftes Solowerk 57TH & 9TH tatsächlich eine angenehme Überraschung, denn ein Großteil der neuen Songs bewegt sich nun doch wieder im rockmusikalischen Rahmen. Zugleich bietet diese Platte eine Chance, Stings Songwriting noch einmal neu zu entdecken, denn die Art von Rock, die er darauf formuliert, ist durch und durch amerikanisch und obendrein traditionell geprägt. Was man bereits am Titel sieht, der sich auf eine Straßenkreuzung in New York bezieht, an der Sting, wie die Linernotes zum Album verraten, schon häufig stand und über amerikanische Musiktraditionen und ihre Entwicklung nachdachte – manifestiert im Imagewandel dieser Straßenecke, die einstmals den nördlichen Rand des hochgefährlichen Viertels „Hell’s Kitchen“ markierte und mittlerweile eine der hipsten und teuersten Gegenden Manhattans ist.

Gerade für die neue, in New York aufgenommene Platte kam Sting jeden Morgen an dieser Straßenecke vorbei, denn „ich mag es, zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Und der Weg zu den wenigen Aufnahmestudios, die es noch in Manhattan gibt, führen alle quasi unmittelbar an dieser Straßenecke vorbei“. Und da er, wie er berichtet, einen Großteil seines Nachdenkens beim Laufen erledigt, seit er denken kann und mit seinem Vater, einem Milchmann, gemeinsam die morgendlichen Runden durch seine Heimatstadt Newcastle upon Tyne erledigte, lag es nahe, 57TH & 9TH auch nach dieser für dieses Album so be­­­deutenden Straßenecke zu benennen.

Wollte man nach einem thematischen roten Faden fahnden, so landet man bei der Suche als dem großen Oberthema: Der Suche nach Wahrheit, und dies in zahllosen Zusammenhängen. Mal geht es um die Wahrheit zwischen zwei Menschen, deren Beziehung in die Brüche ging, dann wieder um die Frage, wie viel Wahrheit in der Auffassung steckt, der Klimawandel sei nur ein Schreckgespenst ökologisch Radikaler, die Angst schüren wollen. Es gibt einen Song, der den Hörer mitnimmt auf die Wahrheitssuche des jungen Gordon, der mit seinem Vater die Milch austrägt, und einen anderen – ›Inshallah‹, der mit seinen arabischen Klängen weit aus dem klanglichen Rahmen des Albums fällt – der sich mit der Wahrheitssuche hinter den Flüchtlingsströmen beschäftigt. Sting liefert dabei bewusst keine Antworten – er formuliert stattdessen lieber offene Fragen oder verdichtet persönliche Eindrücke, um dem Hörer Gedankenimpulse an die Hand zu geben, mit denen er seine eigenen Gedanken zu diesen Themen voran treiben kann. Das ist didaktisch klug und auch nicht allzu überraschend, wenn man sich erinnert, dass Sumner ursprünglich Lehrer werden wollte.

Dabei agiert Sting je­­doch nicht als zeigefingerschwingender Oberlehrer, sondern eher als virtueller Diskussionsleiter für Inhalte, die ihn beschäftigen und dem Hörer angeboten werden als dringliche Themen, über die einmal ausführlicher nachzudenken sich lohnt. Prinzipiell ist Sting – insbesondere verglichen mit früheren Phasen, wo er beispielsweise fast schon manisch um den Erhalt des südamerikanischen Regenwaldes warb – in der Gegenwart ein aufgeräumter Kerl, der sich gern einer gewissen Leichtigkeit hingibt. Was man etwa unmittelbar spürt, als wir die Interview-Suite in einem Hamburger Lux­ushotel betreten.

Um ihn herum springen zig Menschen, die sich ihrer Wichtigkeit mehr als bewusst sind und ihn in jeder freien Se­­kunde auf die am Ab­­end anstehende Verleihung des deutschen Radiopreises einstimmen; während er selbst vollkommen gelassen in einem Sessel fläzt und den alten Dean-Martin-Hit ›Volare‹ vor sich hin trällert. „Das war mal ein wirklich starker Song“, sagt er zum Ende seines Vortrags, während wir das Aufnahmegerät aufbauen. „Solche Songs gibt es heutzutage kaum noch, die auch nach Jahrzehnten noch immer eine große Bedeutung haben.“ Da liegt die Einstiegsfrage auf der Hand.

Ist es auch deine wichtigste Intention als Komponist, solche Songs zu kreieren, die die Zeit überdauern und in ihrer Be­­deutung nichts einbüßen?
Nein, ich denke, so etwas kann man sich nicht vornehmen. Wenn es passiert – und ich glaube, mit einigen Songs ist mir das durchaus gelungen – dann geschieht es durch den Zufall, den besten Song zu einer optimalen Zeit geschrieben zu haben. Letztlich wurde ich Songwriter, weil ich Lieder schreiben möchte und nicht, um etwas von bleibendem Wert zu kreieren. Doch dann er­­fährt man, dass die eigenen Songs bei Hochzeiten oder Beerdigungen anderer Menschen gespielt werden, dass sie einen starken Einfluss auf das Leben dieser Menschen haben. Das ist wunderbar, aber nicht steuerbar. Und für mich sind diese Songs, die anderen offenbar so viel bedeuten, letztlich nicht bedeutender als jene, die ich für meine Katze zu Hause schrieb und die nie jemand anders als sie zu hören bekommt. Bitte richtig verstehen: Natürlich freut es mich zu hören, dass einer meiner Songs einem wildfremden Menschen so viel bedeutet, dass er ihm als Soundtrack zu einem der wichtigsten Mo­­mente seines Lebens dient. Aber da ich so etwas beim Komponieren nicht intendiert habe, fällt es mir schwer, dafür die Verantwortung oder die Credits zu übernehmen.

Auf deinem neuen Album formulierst du viele Fragen nach der Wahrheit in Dingen. Wahrheiten, die teils ernüchternd sind, teils hoffnungsvoll. Gibt es Hoffnung für die Welt?
Nun prinzipiell bin ich ein Mensch, der zu hemmungslosem Optimismus neigt. Schon als Kind verfolgte ich stets die Sichtweise, dass das Leben immer nur besser werden kann. Als junger Mann wiederum war ich be­­flügelt von dem Gedanken, dass ich ir­­gendwann Erfolg haben werde, sowohl als Musiker als auch als ein Mensch, der einen Partner fürs Leben findet. Nachdem ich ge­­heiratet und Kinder bekommen habe, verlegte sich mein Optimismus darauf, dass die Welt zu einem besseren Ort werden kann. Bis auf diese letzte Hoffnung haben sich alle meine optimistischen Träume nach und nach erfüllt. Und das lässt mich eben auch hof­­fen, dass dieser letzte, sicherlich größte Traum ebenfalls irgendwann Wirklichkeit und die Welt zu einem besseren Ort werden kann. Ich denke, Optimismus ist also eine gesunde Le­­bensstrategie, aber ich verfalle dabei nicht in Illusionen. Und daher muss ich sagen: Was die Welt betrifft, so wird es immer schwerer, sich Op­­­timismus zu bewahren, denn manchmal wird die Welt schon sehr düster und hoffnungslos. Und trotzdem bleibe ich dabei, dass es ohne Optimismus nicht geht. Wir dürfen einfach nicht aufgeben.

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