Noddy, wollten AC/DC dich in dieser Zeit nicht als neuen Sänger abwerben?
N: Tatsächlich kam nie eine offizielle Anfrage. Aber sie haben sich wohl nach Bons Tod einen unserer Gigs angesehen und wollten danach Backstage mit mir sprechen. Unser Management hat sie aber wohlwissend abgewimmelt. (lacht) Ich hätte eh nicht zugesagt. Mein Herz hing immer noch an Slade und ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Außerdem haben sie mit Brian Johnson eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Ich kannte ihn schon von seiner Band Geordie. Etwas Besseres hätte AC/DC nicht passieren können.
Für euch kam dann 1980 der Wendepunkt beim Reading Festival.
D: Chas Chandler überredete mich, dort zuspielen. Ich war mir wirklich unsicher. Ich meine, unsere Show wurde nicht einmal beworben, weil wir kurzfristig für Ozzy Osbourne eingesprungen waren. Aber es gibt da so ein Sprichwort: Ein Grashalm überlebt, wenn er sich mit dem Wind bewegt. Für mich war Chas immer ein bisschen wie der Wind in meinen Segeln. Er meinte: „Spielt dort, ihr habt die Songs und die Energie“. Also gingen wir auf die Bühneund schrieben Geschichte.
N: Ich weiß noch, dass wir mit unseren Autos hinfuhren und auf dem öffentlichen Parkplatz parkten.Wir hatten keine Backstage-Pässe, weil die nicht mehr rechtzeitig mit der Post geliefert werden konnten. Def Leppard wollten nicht vor uns spielen, obwohl sie in den Jahren zuvor oft vor uns aufgetreten waren. Uns war das vollkommen egal. Wir gingen vor ihnen auf die Bühne, es dämmerte leicht und zum ersten Mal gingen die Lichter oben an. Wir fingen an und es war absolut fantastisch. Alle flippten komplett aus! Der Pressebereich vor der Bühne füllte sich immer mehr, wir rissen das Ding komplett ab. Am Schluss sang das Publikum ohne unser Zutun ›Merry Xmas Everybody‹ – und das im August! Am nächsten Tag waren wir auf allen Titelseiten. Wir hatten plötzlich eine zweite Chance bekommen und Anfang der 80er nochmal einen wirklich guten Lauf. Quiet Riot coverten ›Cum On Feel The Noize‹ und endlich wurden auch die Leute in den Staaten aufmerksam auf uns, nach dem Motto: „Hey, die Originalband gibt es ja auch noch“. Songs wie ›Run Runaway‹ schafften es in die Charts.
D: Wir flogen also wieder in die Sta-ten und Sharon Osbourne managte uns für eine Weile. Wir hatten eine zweite, kleine Glückssträhne und es sah so aus, als könnten wir es dieses Mal schaffen. Doch dann erkrankte Jim an Hepatitis, was wirklich ernst war. Wir hatten Angst um ihn und mussten das ganze Vorhaben abblasen. Danach haben wir nicht mehr wirklich miteinander gespielt. Auch wenn wir noch Platten aufgenommen haben, konnten wir uns nicht mehr aufrappeln.
Mit Singles wie ›My Oh My‹ und ›Run Runaway‹ feierten Slade weltweit noch beachtliche Chart-Erfolge. Wenig später nahmen sie zwar Alben wie ROGUE’S GALLERY oder YOU BOYZ MAKE BIG NOIZE auf, nach diesen aufreibenden Zeiten war die Luft jedoch komplett raus, sodass ihr letztes Livekonzert tatsächlich im Jahr 1984 stattfand. Noddy Holder verabschiedete sich bereits Ende der 80er Jahre nach Differenzen mit Jim Lea intern von Slade, 1992 verkündeten er und Lea offiziell ihren Ausstieg. Dave Hill, der immer wieder mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte, und Don Powell belebten die Band 1993 wieder. Bis Anfang 2020 tourten sie regelmäßig gemeinsam unter dem Banner Slade, dann gingen auch Hill und Powell getrennte Wege.
Warum habt ihr nie mehr zueinandergefunden?
N: Es gibt diverse Gründe, warum Bands nicht mehr funktionieren. Persönliche und musikalische Differenzen, Frauen, Drogen, Alkohol. Bei uns kamen alle zusammen. Irgendwann war die Luft raus und Jim wollte alles im Alleingang machen. Er erklärte mir plötzlich, wie ich singen sollte. Das störte mich. Ich betrachtete Slade immer als Puzzle, das aus vier gleich großen Teilen bestand. Ich fühlte mich nicht mehr wohl und verkündete schließlich meinen Ausstieg. Lustigerweise verließ Jim die Band danach auch, was ich nicht wirklich verstand. Die Frage nach einer Reunion ist wahrscheinlich die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird, aber um ehrlich zu sein, verstehen wir uns einfach nicht mehr gut genug. Vor ein paar Jahren haben wir uns zu viert getroffen, um über Geschäftliches zu sprechen. Ich hatte ein lukratives Angebot für eine Reunion-Tour mit dabei, das jedoch eine zweijährige Tournee vorgesehen hätte. Als wir dann zusammensaßen, kamen schon nach fünf Minuten die Anschuldigungen und Streitigkeiten der letzten 20 Jahre wieder hoch. Ein absoluter Kindergarten, ich habe den Vorschlag mit der Tour gar nicht erstgebracht. Ich hatte früher gedacht, dass jeder einmal eine Pause brauchtund wir dann schon wieder zusammenfinden würden. Aber es geht nicht mehr. Die meisten großen Bands, die heute noch unterwegs sind, sprechen nicht mehr miteinander und sehen sich nur auf der Bühne. Aber das wäre einfach nichts für mich. Dave und ich sind immer noch in Kontakt. Wenn ich in der Nähe bin, besuche ich ihnauf eine Tasse Tee.
Habt ihr die Würdigung in der Musikgeschichte erhalten, die ihr verdient?
N: Ich denke, unsere Musik steht für sich. Deswegen bringen wir ja auch dieses Greatest-Hits-Album heraus, um eine andere Zielgruppe zu erschließen. Du selbst bist ja auch relativ jung und hast Slade für dich entdeckt.
D: Ich persönlich kann das nicht richtig einschätzen. Eigentlich kennt uns jeder, aber manchmal gibt es in der Musik einen gewissen Snobismus. Solange die Leute unsere Musik mögen, ist es egal, dass irgendwer in der Presse uns nicht auf die Liste der wichtigsten Bands setzen will. Manchmal höre ich mir unsere Alben an und denke immer noch: „Blimey, das ist ja richtig großartig!“ Und immerhin spricht man auch heute, 45 Jahre später, über uns und wir haben eine anständige Plattenfirma hinter uns stehen. Den Fans ist es egal, wie wir allgemein bewertet werden, sie lieben uns sowieso. Es geht darum, mit deinen Songs Erinnerungen in den Menschen hervorzuholen und lebendig zuhalten. Das vergessen dir die Fans nie. Wenn wir in Deutschland spielen, sehe ich oft junge Menschen im Publikum. Wahrscheinlich kennen sie Slade nur von ihren Eltern. Oder schau dir beispielsweise Noel Gallagher an, der immer wieder sagt: „Ohne Slade keine Oasis“. Ich meine, er und Liam waren kleine Kinder, als sie uns bei „Top Of The Pops“ sahen und beschlossen, Musiker werden zu wollen. Vielleicht hast du Recht damit, dass man uns gemeinhin mehr wertschätzen könnte. Aber die für uns wichtigen Leute schätzen uns. Chas wusste immer, dass wir einmal riesengroß werden würden. Und mal abgesehen vom amerikanischen Markt waren wir das auch. (Ursprünglich ist dieser Text zum ersten Mal im Jahr 2021 erschienen. Anm. d. Autorin)