Amerika hat derzeit nicht gerade das beste Image. Wie gut, dass das Land Söhne wie Ryan Bingham hat. Wir sprachen mit ihm über sein neues Album AMERICAN LOVE SONG.
Das nennt man wohl „antizyklisch“: Während die halbe – oder bereits ganze – Welt leidenschaftlich auf Amerika schimpft, kommt Singer/Songwriter und Grammy-Gewinner Ryan Bingham mit dem Album AMERICAN LOVE SONG daher. Das heißt aber nicht, dass Bingham über den aktuellen Zustand seines Landes begeistert ist. Im Gegenteil. Er ist irritiert, verunsichert und fragt sich im Song ›America‹, wie weit es mit seiner Heimat gekommen ist. Eine Frage, die er selbst im Telefoninterview nicht so recht beantworten kann.
„Das fragen sich ja gerade ganz viele Amerikaner“, lässt er verlauten und klingt dabei wie jemand, der sich für die Missetaten seines Bruders rechtfertigen muss, „fest steht, dass dieser Präsident mich nicht repräsentiert. Wie ich feststelle, denken ganz viele so wie ich.“ Vieles, was gerade in Amerika ablaufe, sei für den aus New Mexiko stammenden Grammy-Gewinner „irreal“. Man könne gar nicht glauben, dass das alles möglich sei. Doch: Die Menschen würden sich mehr und mehr gegen diese rücksichtslose Politik wehren. „Das gibt mir Kraft und Hoffnung“, meint er am anderen Ende der Leitung zaghaft optimistisch.
„Fest steht, dass dieser Präsident mich nicht repräsentiert. Wie ich feststelle, denken ganz viele so wie ich.“
AMERICAN LOVE SONG stellt im mittlerweile sechs Alben umfassenden Katalog des Sängers eine Sonderstellung dar. Zum einen sei es eben „sehr politisch“, zum anderen ist es, so sagt er, „ein Konzeptalbum“. Vor allem aber sei es absolut persönlich und autobiografisch. Das zeigt sich auch musikalisch in den 15 neuen Tracks der von ihm gemeinsam mit Bob Dylans Gitarrist Charlie Sexton produzierten CD. „Ich bin viel herum gekommen, bin in vielen unterschiedlichen Teilen des Landes aufgewachsen. Und von überall habe ich einen Einfluss mitgenommen.“ Aus Lousiana beispielsweise den Jazz und den Cajun, aus dem Mittleren Westen Country, aus Texas den Western Swing, aus New Mexiko den Sound der Mariachis und aus Kalifornien – seiner derzeitigen Heimat – den Rock und die Lässigkeit. Ein Sammelsurium an Genres und Einflüssen – wie geschaffen für das Genre-Label „Americana“. Sieht er sich deshalb auch als Americana-Künstler?
„Ja, doch, durchaus“, sagt er ohne Umschweife, „das bringt alles unter einen Hut. Da fühle ich mich zu Hause.“ Vom eher traditionellen Country-Sound seiner ersten Alben hat sich Ryan Bingham mittlerweile aber wieder verabschiedet. Country sei heute ohnehin ein Genre, unter dem jeder etwas anderes verstehe. Die einen meinen damit die Musik von Bob Wills und Willie Nelson, andere den Mainstream-Sound von Lady Antebellum und Rascal Flatts. „Ich war letztendlich immer ein Folk-Sänger mit Country-Touch“, gibt er zu Protokoll, „Guy Clark und Townes van Zandt, mit denen bin ich aufgewachsen. Die haben mich geprägt.“ Offenkundig aber auch die Rolling Stones. Von gleich mehreren Tracks seines neuen Albums könnten Mick und Keith die Patenonkel sein. Richtige Vermutung?
„Absolut“, lacht er in den Telefonhörer, „ich habe es immer geliebt, wenn die Stones einen Country-Song aufgenommen haben. Die Mischung aus Blues und Country ist genau mein Ding.“ Hört man!