Es wurde auf einem schrottreifen Klavier geschrieben, fast von den Hollies geklaut, begleitet von den fantastisch benannten Backing-Sängerinnen Thunderthighs und war ein Highlight der kommerziellen Phase der Band.
Das Schicksal schien immer ein seltsames Spiel mit Mott The Hoople zu spielen. Vier Jahre harter Arbeit auf dem Label Island hatten ihnen den Ruf als eine der besten Live-Bands Großbritanniens eingebracht, aber niemand schien ihre Platten zu kaufen. 1972 hatten sie sich mit dem Gedanken abgefunden, die Bühne mit Zirkusjongleuren und dem Comedian Max Wall zu teilen. Völlig desillusioniert, hatten sie sich beinahe aufgelöst. Dann bot ihnen David Bowie einen seiner eigenen neuen Songs an, ›All The Young Dudes‹, und Mott The Hoople waren als stolzierende Rock‘n‘Roll-Hitlieferanten neu auferstanden. Innerhalb eines Jahres waren sie zu Stammgästen in den britischen Charts aufgestiegen und spielten sowohl dort als auch in den USA vor vollen Häusern.
Sänger Ian Hunter, mit seinen überdimensionierten Sonnenbrillen und dem wallenden, auftoupierten Haar die Verkörperung des Früh-70er-Frontmanns schlechthin, hatte sich als ihr Haupt-Songwriter herauskristallisiert. Der Erfolg von Sin- gles wie ›Honaloochie Boogie‹ und ›All The Way From Memphis‹, beide vom Top 10-Album MOTT, ließ vermuten, dass der ausgelassene Glam‘n‘Roll der Band endlich eine dauerhafte Karriere begründen würde. Und als Hunter Ende 1973 noch den Hit ›Roll Away The Stone‹ ablieferte, schien es, als ob die guten Zeiten niemals enden würden.
›Roll Away The Stone‹ stieg im November ‘73 bis auf Platz 8 der britischen Charts und krönte die kommerzielle Ära von Mott The Hoople. Es klang sogar wie eine Feier: Mit hupendem Saxofon, einer quietschenden Gitarre und den „Shoop shoop“- Backing-Vocals des Mädchentrios Thunderthighs übertrug das Lied die demonstrative Euphorie des 50s-Rock‘n‘Roll in die krisengeplagten 70er.
„Das Stück hatte ich ursprünglich für das MOTT-Album geschrieben“, erinnert sich Hunter. „Ich hatte dieses Klavier, das mich 30 Pfund gekostet hatte, und ich hatte all die weißen Tasten rausgedroschen. Also brachte ich mir bei, wie man die schwarzen spielt, was großartig war, denn ich hatte keine Ahnung, was ich da tat. Mit den weißen Tasten wusste ich, wo es lang ging, aber es ist besser, wenn man ins Ungewisse schießt. Ich schrieb ›All The Way From Memphis‹, ›Roll Away The Stone‹ und noch etwas komplett in Cis und B.“
Das Hauptriff von ›Roll Away The Stone‹ hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ›While My Guitar Gently Weeps‹ von den Beatles. Doch wie Motts damaliger Gitarrist Mick Ralphs behauptet: „Jegliche Ähnlichkeit zu anderen Stücken war reiner Zufall. Ich spielte das Lied einfach, wie ich es fühlte.
Wie bei allem, was ich je aufgenommen oder gespielt habe, habe ich mich einfach in die Stimmung reingefühlt. Ich plane nie etwas oder arbeite es aus, obwohl ich den Gitarren-Hook im Intro erst noch schreiben musste, wie bei ›All The Young Dudes‹. Ian hatte begonnen, in einer gewissen kommerziellen Art zu schreiben, und wir dachten beide, dass ein guter Gitarren-Hook wichtig für ›Roll Away The Stone‹ sei.“
Das Stück wurde der Band beinahe unter der Nase weggeklaut. „Wir fuhren in die Staaten“, so Hunter, „und irgendwie versuchten die Hollies, es zu bekommen. Der Gitarrist der Hollies der Typ, der sein ganzes Leben lang jung aussah [Tony Hicks] war zur Plattenfirma gegangen und hatte gesagt, dass sie ›Roll Away The Stone‹ wollten. ‚Aber das ist doch ein Mott-The-Hoople-Lied. Das könnt ihr nicht machen.‘ Also sagte er: ‚Doch, sie haben uns die Erlaubnis gegeben.‘ Das ist die Geschichte, die man mir erzählt hat.“
Das Lied blieb bei seinem Autor, aber dann nahm das Schicksal eine weitere seltsame Wendung. Als es fertiggestellt war, schien Hunter sich selbst zu verhexen.
„Ich machte einen fatalen Fehler“, erinnert er sich sichtlich ungern. „Tony Brainsby war damals unser Pressesprecher und ich weiß noch, wie ich in sein Büro kam und sagte: ‚Ich habe die Formel. Ich habe sie geknackt.‘ Und das war der Moment, in dem ich aufhörte, diese Formel zu haben.“ ›The Golden Age Of Rock‘n‘Roll‹ schaffte es 1974 noch in die britischen Top 20, doch im Wesentlichen war ›Roll Away The Stone‹ der letzte größere Hit für die Band.
Ein weiterer Faktor im Abstieg Mott The Hooples war laut Hunter der Ausstieg von Ralphs, der ging, um im August 1973 Bad Company zu gründen. ›Roll Away The Stone‹ war einer seiner letzten Beiträge für die Band. „Zu diesem Zeitpunkt hatte ich beschlossen, mit Paul Rodgers zusammenzuarbeiten“, erklärt Ralphs. „Ich wollte etwas Bluesigeres und Simpleres machen. Versteh mich nicht falsch, ich liebte Mott. Aber mit dem Erfolg wurden wir zu einer Popgruppe. Was in Sachen Akzeptanz und Beliebtheit großartig war, aber ich hatte das Gefühl, das wir etwas von unserer Wildheit und Einfachheit verloren hatten. Es war schwer, meine lieben Freunde zu verlassen, aber ich musste meinen eigenen Weg gehen. Während der Aufnahmen zu MOTT sagte ich der Band, dass ich etwas anderes machen wollte, aber ich stellte das Album noch fertig und spielte auf der US-Tour, bevor ich ging.“
Ralphs wurde ersetzt durch den ehemaligen Spooky-Tooth-Gitarristen Luther Grosvenor alias Ariel Bender. Er war wesentlich mehr Showman als sein Vorgänger, was gut zum Variété-Wahnsinn des Glamrock passte. Er spielte schließlich auf der Albumversion von ›Roll Away The Stone‹, die auf THE HOOPLE erschien. Im Übrigen kam der gesprochene Part von der Sängerin Lynsey de Paul.
Mott The Hoople hatten 1973 gebührend triumphal abgeschlossen, indem sie ihre 22 Konzerte umfassende UK-Tour mit Queen als Vorgruppe mit zwei Shows im Londoner Hammersmith Odeon krönten. Beim zweiten dieser Auftritte kam es fast zu Ausschreitungen, als das Management der Halle noch während der letzten Zugabe den Sicherheitsvorhang fallen ließ.
Ohne Ralphs spürte Hunter die Belastung umso mehr. Bowies einstiger Gitarrenheld Mick Ronson hatte 1974 Grosvenor ersetzt, doch da waren Mott The Hoople eigentlich schon am Ende. „Ich schien eine Vorstellung davon zu haben, was Mott waren, aber niemand sonst brachte noch Ideen ein“, erklärt Hunter. „Es war anstrengend und wurde immer schlimmer. Als dann Mick Ronson dazu stieß, ging es nur noch drunter und drüber. Ich wurde damals ziemlich krank [bei Hunter wurde geistige und körperliche Erschöpfung diagnostiziert]. Sechs Jahre voller Einsatz, zunächst erfolglos, dann mit ein bisschen Erfolg. Als er einsetzte, war es wohl ohnehin schon vorbei. Aber wenn man jung ist, erkennt man das noch nicht.“