Heidi Solheim ist wohl einer dieser Menschen, von denen man sagt, sie seien zum Pferdestehlen. Selbiges wird schon bei der extrovertierten Herzlichkeit des Händeschüttelns klar, mit dem einen die strahlende Norwegerin in den Interview-Räumlichkeiten in München begrüßt, um über das neue Werk ihrer Band Pristine zu plaudern. Der Verdacht verdichtet sich binnen kürzester Zeit, denn als es zu den ersten Lachern kommt, ist man sofort von den Socken: Wenn Heidi ehrlich losprusten muss, schließt sie jeden ihrer ansteckenden Ausbrüche mit einem unfassbar sympathischen Grunzer ab. Wie dieses Bild zusammenpasst mit dem schwermütigen Grundtenor ihrer neuen Platte, erklärt das Mastermind im Laufe des Gesprächs.
ROAD BACK TO RUIN ist ja ein eher pessimistischer Titel für ein Album. Woher rührt dieser negative Ansatz?
Das reflektiert unterschiedliche Aspekte des Lebens, hauptsächlich geht es jedoch darum, dass aktuell einfach sehr viel Traurigkeit in der Luft liegt, auch bei uns in der Band, in unserem Umfeld. Die ganze Welt steht schief, die neue Rechte erstarkt und wir sehen die Menschheit nicht mehr als Ganzes…
Es wird separiert, wo es geht!
Ja! Wir ziehen Grenzen und es ist so frustrierend. Man weiß ehrlich nicht, was man dagegen tun soll. Dieser Gedanke fasst das Album wohl recht gut zusammen. Heutzutage schwingt da einfach ständig diese Traurigkeit mit.
Was meinst du, wo liegt die Wurzel allen modernen Übels?
Schwer zu sagen. Wahrscheinlich ist die Angst am schlimmsten, da sie alle anderen Übel erschafft. Dazu glauben viele der Leute alles, was sie in den Medien sehen, und pauschalisieren schnell, ohne zu reflektieren. Klar bringt niemand schöne Geschichten in den Nachrichten, denn nur die fiesen Storys bekommen Klicks und Aufmerksamkeit und bringen das Geld. So kommt der Ball ins Rollen und natürlich zieht da irgendwer gerne einen Vorteil daraus…
Gespaltene und verängstigte Menschen lassen sich gut kontrollieren. Und das Internet ist ohnehin zum Spielplatz des Hasses degeneriert...
Exakt. Es scheint, dass die intelligenten Leute die Klappe halten und die anderen ihren Hass mit voller Inbrunst hinausschreien.
Verspürst du da als Künstler den Drang, mit deiner Musik einen Standpunkt zu vermitteln?
Oh ja, total. Ich finde, Künstler müssen ihre Perspektive auf die Welt in ihrer Kunst reflektieren. Für mich hat es sich deswegen natürlich angefühlt, über meine Frustration zu sprechen. Pristine ist keine politische Band, aber wir haben unsere Meinung, die wir in Kunst umwandeln wollen.
Klingen die Songs auf der neuen Platte vielleicht deshalb etwas schwerer als die Vorgänger?
Hmm… das ist einfach so passiert. Was für eine langweilige Antwort! (lacht/grunzt) Aber Komponieren ist ja situativ bedingt und bestimmt hat das Album durch diese Traurigkeit eine gewisse Schwere erhalten. Außerdem bin ich eigentlich immer sehr kritisch mit mir selbst und verwerfe Ideen zu schnell. Ich bin mein schlimmster Feind! Dieses Mal habe ich versucht, den Songs Entwicklungsraum zu geben.
Auch ein großer Schritt in deiner persönlichen Entwicklung, oder? Sich selbst eine Chance zu geben, ist manchmal gar nicht so leicht.
Ja, genau. Dabei limitiert dich negatives Denken so stark. Na ja, wenn ich schreibe, kommen die Lyrics ohnehin immer am Ende. Zum Beispiel war ›Cause & Effect‹ anfangs eher eine verletzliche Blues-Ballade, im Studio dachten wir dann aber: Nein, da braucht es mehr Dramatik. Deswegen habe ich die Arktische Philharmonie angerufen, die dann zugesagt hat. Dann haben wir nochmal in Tromsø aufgenommen und ich habe den Text komplett umgeschrieben.