Epischer Pompös-Prog der bescheidenen Megarocker
Wenn der Aprilhimmel über London grau ist und das Donnergrollen laut erklingt, während wir die Arena betreten, dann stimmt uns das wunderbar ein auf diesen Wolken vertreibenden Kassenschlager-Gig in der Megahalle der englischen Hauptstadt, der laut Twitter mit 21.000 Anwesenden als das größte Konzert in der Geschichte der Veranstaltungsstätte gilt. Auf jeden Fall ist dies das visuell fesselndste. „Die Show, die sie gleich genießen dürfen, enthält Video-Projektionen der spektakulärsten Art“, warnt der Hallensprecher, der damit noch untertreibt, schließlich schweben hier transparente Weltraumroboter, die aus dem Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ stammen könnten, über unseren Köpfen, während dazu das chorale, hymnische ›Drones‹ wie Musik aus anderen Sphären erklingt. Zum ersten Mal performt die Band auf einer freistehenden Bühne in der Mitte des großen Runds, damit die Fans von allen Seiten ihre liebsten Pompös-Prog-Rocker bestaunen können. Muse sind ohne Zweifel Großbritanniens größte Underground-Stadionband – sie schaffen es, ein „Supermassive Black Hole“ wie die O2 auszufüllen und zugleich ein gewisses Maß an Anonymität zu genießen. Diese Anonymität lässt Bellamy, Wolstenholme und Howard zwar etwas charakterlos wirken, aber dann hätte man dasselbe wohl auch 1976 von Pink Floyd behaupten können. Und genau wie die Floyd lassen sie die Musik – und die visuellen Effekte – für sich sprechen. Muse mögen vielleicht nicht die Helden der Kritiker sein, wie dies, sagen wir, beispielsweise Radiohead sind, aber sie sind des Volkes erste Wahl, wenn es um Science-Fiction-Sturm-und-Drang mit einer Vorliebe für politische Botschaften und Verschwörungstheorien geht.
Und überhaupt, warum sollte jemand große Persönlichkeit brauchen, wenn er Riffs wie das von ›Psycho‹ im Beutel hat? Dazu machen sie einen Haufen Lärm für ein Trio und verfügen zudem über genug Prog-Geschnörkel und Metal-Power, um mindestens zwei Fan-Lager zu befriedigen. ›Reapers‹ klingt wie Queen, denen man jegliche Theatralik entzogen hat – der volle Fokus liegt stattdessen auf der puren chirurgischen Präzision, mit der die drei ihre Instrumentalteile abliefern. Muse haben etwas Klinisches an sich, aber dem Publikum gefällt es, dass sie sich selbst so ernst nehmen: Jeder Song wurde bis zu diesem Zeitpunkt mit der Begeisterung aufgenommen, wie es sonst nur Schlussnummern vorenthalten ist.
Dieser Abend ist ein allumfassendes Erlebnis. Wann immer die Anziehungskraft von Bellamy und Co., die wie Miniatur-“Men In Black“ auf der weit entfernten Bühne stehen, verloren zu gehen droht, werden die Sinne des Zuschauers ersatzweise durch die Visuals gereizt. Muse bedienen sich aus allen Ecken ihres musikalischen Universums von ›Bliss‹ aus dem Jahr 2001 bis hin zu ›Starlight‹, ›Supermassive‹, ›Map Of The Problematique‹ und ›Take A Bow‹ vom 2006er-Album BLACK HOLES AND REVELATIONS. Wenn einige Songs die selbe Dynamik haben, dann gibt es immer wieder einen Effekt, der die Aufmerksamkeit des Publikums aufrecht erhält. Ein großer Knall und Konfetti-Ausbruch leiten das spannungsaufbauende ›Mercy‹ ein, bevor ›Knights Of Cydonia‹ den Schlusspunkt setzt. Doch es ist wie immer ›Uprising‹, das sowohl das epische Highlight als auch das ironische Herzstück einer jeden Muse-Show darstellt. Tausende von Narren werden hier von einer wogenden, frenetischen Masse geschluckt und geben sich freien Willens einer Schreckenszukunftsvision über die bedrohliche Macht von Kontrolle hin. Als Bellamy kurz zuvor bei ›Time Is Running Out‹ sang „Something beautiful / A contradiction’, da könnte er auch seine eigene Band gemeint haben. Das Schöne an Muse aber ist, dass man sich über solche Widersprüchlichkeiten keine Gedanken zu machen braucht.