Auf dem neuen Mission-Album THE BRIGHTEST LIGHT verkündet Mastermind Wayne Hussey, dass es nicht mehr das weiße Pulver sei, das ihn heute wach bleiben lassen. Stattdessen hat er offenbar den Glauben entdeckt und „ein Laster, dem ich vertrauen kann“. Womit wohl die Band gemeint ist, die er 2011 schon zum zweiten Mal nach Verkünden des endgültigen Endes wieder ins Leben zurückrief. Eine Sucht, die man uneingeschränkt gutheißen darf.
Wayne Hussey hat noch was vor heute: Apartment-Shopping. „In einer Stunde fahren wir in die Stadt, um uns eine Wohnung anzusehen.“ Mit „die Stadt“ meint er den Mega-Moloch São Paulo, denn seit mehr als einem Jahrzehnt lebt der Frontmann der britischen Rockinstitution in Brasilien auf einem Anwesen außerhalb der Metropole, die trotz des Wirtschaftswunders am Amazonas immer noch den Ruf hat, der Vorhof zur Hölle zu sein. „Alle schauen immer nur nach Rio de Janeiro“, so Hussey, „und das ist ja auch keine schlechte Stadt. Wir haben gerade erst wieder ein Wochenende dort verbracht und das war in Ordnung. Aber generell genieße ich Rio lieber aus der Ferne. Für São Paulo muss man dagegen eine Lanze brechen. Es ist nicht so glamourös, aber hier gibt es jede Menge Kultur und die Leute sind bodenständiger. Klar gibt es immer noch Stadtteile, in die man sich besser nicht verirren sollte, aber die gibt es anderswo auch. Ich finde es toll dort. Und da meine Frau Schauspielerin ist und sowieso viel Zeit für Filmarbeiten dort verbringt, macht es Sinn, dass wir uns da auch was zulegen, statt Geld für Miete aus dem Fenster zu werfen.“
Weise Worte von einem Mann, der sich offenbar Gedanken zum Thema Wirtschaft macht. „Es ist schon lustig. Als ich vor zwölf Jahren hierher zog, hatte ich kein Interesse an dem Thema. Ich habe einfach das Haus gekauft, weil es sich anbot, und wie sich heraus stellte, war das ein guter Schachzug. Ich hatte davor noch nie irgendwas als Investment betrachtet, aber in dem Fall ist es mir definitiv gelungen. Seitdem hat sich Brasilien ja enorm entwickelt und war als eines von ganz wenigen Ländern nicht von der großen Krise betroffen. Das sieht man. Vor zwölf Jahren war hier alles spottbillig, heute sind die Lebenshaltungskosten ziemlich hoch. Damals hatte niemand ein Auto, heute hat jeder eins, natürlich auf Pump. Es ist unvermeidlich, dass diese Blase mal platzen wird.“
Womit er vermutlich Recht behalten wird, auch wenn man den Prophezeiungen des Briten sonst vielleicht nicht so viel Glauben schenken sollte. Schließlich hat er nicht nur ein-, sondern gleich zweimal behauptet, The Mission seien Geschichte – 1996 und 2008 –, um sie dann jeweils drei Jahre später wieder zu exhumieren. „Na ja, was soll ich sagen…es ist wohl wie mit dem Rauchen. Das habe ich mir auch schon mehrmals abgewöhnt, nur um dann festzustellen, dass ich es eigentlich immer noch sehr gerne mag!“
Anlass der erneuten Wiedergeburt war eine Tour, mit der man das 25-jährige Jubiläum der Band feiern wollte, woraus schließlich mehr wurde. „Ich musste damals einfach eine Auszeit nehmen, ich konnte nicht mehr. Es war einfach zu ermüdend geworden, mich jeden Tag damit beschäftigen zu müssen. Ich brauchte das Gefühl, dass es nicht mehr omnipräsent in meinem Leben ist. Ich wollte nicht mehr jeden Morgen aufwachen und wissen, dass da mindestens 15 E-Mails auf mich warten, in denen es um The Mission geht.“
Die Band offiziell zu Grabe zu tragen, schien der einzige Ausweg, und der Neustart konnte nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren, wie Wayne erklärt: „Ich hatte schon große Vorbehalte und war verdammt nervös, als wir dann doch wieder in den Proberaum gegangen sind. Wollte ich das wirklich wieder alles anleiern? Also wollte ich erst mal den Zeh ins Wasser halten und sehen, was daraus wird. Doch es stellte sich schnell heraus, dass wir wieder Spaß an der Sache hatten. Und wir wissen jetzt, wie wir es angehen müssen, um nicht wieder auszubrennen. Wir machen nur noch kurze Tourneen, mal zwei, drei Wochen hier, zwei, drei Wochen dort. So laufen wir nie Gefahr, einander auf die Nerven zu gehen. Letztlich sind wir älter und weiser, uns gefiel, was da entstand, und so führte irgendwann eins zum anderen und wir fragten uns bald: Wieso machen wir nicht gleich ein neues Album?“
Das erwies sich schon mal als logistisches Problem, da die Bandmitglieder über drei Kontinente verstreut leben, doch letztlich traf man sich in der britischen Heimat wieder, um das elfte The-Mission-Werk in Angriff zu nehmen. THE BRIGHTEST LIGHT mag schon im Titel verwirren, denn nach unbeschwertem Heile-Welt-Sound klingen Wayne & Co. auch 2013 nicht. Wer genau hinhört, wird jedoch feststellen, dass in jedem knarzigen Riff, in jedem rumpelnden Beat und jedem rauchigen Wolfsgeheul ein Augenzwinkern mitschwingt, das auf ›Born Under A Good Sign‹ wohl im unverhohlen poppigsten Stück in der 27-jährigen Geschichte der Band kulminiert. „Ich habe viel Blues gehört die letzten Jahre, vor allem Delta-Blues, und ich liebe es, mit diesen Klischees zu spielen und ihnen einen neuen Twist zu geben. Dazu kam aber, dass wir endlich mal einfangen wollten, wie die Band live klingt. Das hat eine ganz eigene Energie, die wir rüberbringen wollten. Außerdem habe ich am Anfang überhaupt nicht speziell an The Mission gedacht, als ich loslegte. Es ging ganz bestimmt nicht darum, zu reproduzieren, wie wir vor 20 Jahren geklungen haben. Ich habe einfach nur Songs geschrieben!“
Einfach nur Songs. In dieser Aussage schwingt zu einem nicht unwesentlichen Teil mit, dass The Mission seit Jahrzehnten an einem gewissen Wahrnehmungsproblem leiden. Klar, man weiß, dass Hussey einst mit Ober-Düsterling Andrew Eldritch bei den Sisters Of Mercy war, weswegen seiner Band bis heute ein gewisses Stigma anhängt, eine Kategorisierung, die man bis heute nicht mehr los geworden ist: Goth. Ein Begriff, mit dem sich der 55-Jährige zwar längst nicht mehr identifizieren kann, aber seinen Frieden geschlossen hat: „Es ist schon lustig, immer wieder so bezeichnet zu werden. Mein größter Einfluss in meiner Jugend waren T.Rex, dann war ich bei Dead Or Alive. Und dann eben Sisters Of Mercy. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich schon einen Haufen Songs für deren zweites Album geschrieben hatte, an dem ich dann aber bekanntlich nicht mehr beteiligt war. Also habe ich sie für unser Debüt verwendet. Das ist das einzige unser Alben, das man als Goth bezeichnen könnte, aber danach? Es war dann zwar nicht mehr zutreffend, aber unfair ist es auch nicht wirklich. Die Leute müssen Sachen halt in Schubladen stecken. Wirklich geärgert hat mich das nur, wenn uns manche Türen verschlossen blieben, weil wir falsch wahrgenommen wurden. Andererseits kann ich mich auch wirklich nicht beschweren: Obwohl wir uns über so viele Jahre die größte Mühe gegeben haben, sie loszuwerden, sind die Goth-Fans doch die absolut treuesten, die man nur haben kann.“
Matthias Jost