Eingeengt vom Erfolg, kehrte er der Genesis-Maschinerie den Rücken und steuerte in ein brandneues, nuschelfreies Morgen. Erfahrt hier die Entstehungsgeschichte von Peter Gabriels erstem Soloalbum.
„Es war ihm wichtig, sich selbst zu behaupten und als individuelles Talent wahrgenommen zu werden“, sagt der legendäre Produzent Bob Ezrin über die Arbeit an Peter Gabriels Solo-Debütalbum. „Er ist eine überlebensgroße Persönlichkeit. Auch wenn er sich in der Öffentlichkeit ziemlich sanft und bescheiden gibt, hat er so viel Feuer, Energie und Kreativität. Da stecken viele verschiedene Persönlichkeiten in ihm, und er muss die Möglichkeit haben, sie rauszulassen. Und das konnte er nur ohne Einschränkung tun, indem er Genesis verließ und sein eigenes Ding machte.“
Gabriel hatte seine ehemaligen Genesis-Bandkollegen/Schulfreunde 1975 auf der endlosen THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY-Tour wissen lassen, dass seine Genesis-Tage gezählt seien. Nachdem die Tour abgeschlossen und er ausgestiegen war, nahm er sich eine Auszeit mit seiner Frau und seinem Neugeborenen – und fühlte sich sowohl befreit als auch schuldig. Er hatte sich „von dem Erfolg, den wir wollten, eingeengt“ gefühlt, schrieb er in einem offenen Brief an seine Fans, „und das schlug sich auf meine Einstellung und Laune nieder“. Er fügte hinzu: „Es gibt keine Feindseligkeit.“
„Ich wusste nicht,
ob ich das Leben anderer verhunzt hatte,
und vielleicht sogar mein eigenes.“
Während Schlagzeuger Phil Collins den Posten des Frontmanns bei Genesis übernahm und die Band mit A TRICK OF THE TAIL – ein Album, das heute viele Fans als das beste der Frühphase der Band ansehen – triumphierte, überlegte Gabriel, wie er fortfahren sollte.
„Ich wusste nicht, ob ich das Leben anderer verhunzt hatte, und vielleicht sogar mein eigenes“, erinnert er sich in der Bandbiografie „Chapter & Verse“. „Als die Band dann ohne mich mehr Erfolg hatte, fühlte es sich an, als würden die Leute die alten Sachen neu bewerten und denken: ,Vielleicht war Peter nur der Typ, der die Masken trug.‘“
Ezrin hatte Gabriels Masken Jahre zuvor erstmals gesehen, als Genesis in Toronto im Vorprogramm von Lou Reed spielten. „Normalerweise ignoriert man die Vorgruppe, aber ich war fasziniert“, erinnert er sich. „Ich traf Lou nach der Show, um über die Produktion von BERLIN zu reden, aber als ich nach Hause kam, sagte ich zu meiner Frau: ,Ich freue mich wirklich darauf, mit Lou zusammenzuarbeiten. Aber, Mann, ich will unbedingt den Jungen mit der Blume auf dem Kopf treffen!‘“
Gabriel begann seinerseits, bewusst Lieder zu schreiben, die komplett anders klangen als die barocken Prog-Rock-Epen seiner früheren Band.„Als ich wieder ernsthaft zu komponieren begann, versuchte ich Lieder zu finden, die vom Genesis-Sound so weit wie möglich entfernt waren“, sagte Gabriel. „Es machte mir allerdings Angst, mit unbekannten Musikern ein Album zu machen … Ich war mir nicht sicher, wie ich ausdrücken sollte, was ich wollte. Ich hatte keine Ahnung, wie man mit echten Session-Musikern kommunizierte, die mir wie seltsame, fremde Menschen vorkamen.“