Der New Yorker betört die Frauen und gibt den bodenständigen Rocker.
Der US-amerikanische Sänger Raphael Saadiq hat mit seiner Band ganze Arbeit geleistet und das Publikum in der O2 World ordentlich in Stimmung gebracht, als Kravitz um 21.20 Uhr die Bühne betritt. In knallengen Hosen, weißem Felljäckchen und Sonnenbrille macht der 47-jährige Sänger dem Image eines Rockstars alle Ehre. Das Konzert beginnt mit einigen seiner größten Hits, fettem Sound und energiegeladenen Bewegungen. Eine stimmige Licht- und Dia-Show im Bühnenhintergrund begleitet den Sänger und seine siebenköpfige Band und lässt auch Zuschauer auf den entfernten Plätzen nah an den Superstar heran.
Doch erst, als Lenny schließlich seine Brille abnimmt, das norddeutsche Publikum begrüßt und mit ›It Ain’t Over ‚til It’s Over‹ eine gefühl-volle Ballade anstimmt, springt der Funke ganz in den Saal über. Von nun an tanzen und singen (fast) alle mit, klatschen tosenden Beifall und folgen Lenny mit ihren Blicken, wenn der über die Bühne fegt. Für Lenny Kravitz selbst ist dieser Abend eine Art „Comeback“, wie der Sänger zwischen zwei Songs verrät. Denn vor 22 Jahren, als er gerade seine erste Platte aufgenommen hatte, sein Label noch unsicher war, wie es mit dem einerseits zu schwarzen und andererseits zu weißen Rockmusiker mit Rastalocken umgehen sollte, führte ihn eine EuropaTour nach Hamburg. Vor einem kleinen Publikum spielte Kravitz damals im Café Schöne Aussichten und erinnert sich noch gut an das Gefühl, mit seiner Musik hier anzukommen und verstanden zu werden.
Mehr als zwei Jahrzehnte später sind die Dreadlocks verschwunden, Kravitz ist Vater einer erwachsenen Tochter – und die Jahre sind nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Umso beeindruckender die Momente, in denen seine Coolness bricht und hinter der perfekten Rockstar-Maske ein Mann sichtbar wird, der das Rampenlicht genießt, jedoch weiß, dass all das „nur ein Spiel ist“: Es gehe letztlich da-rum, geliebt zu werden.
Besonders spektakulär kommt ›Black & White America‹ (der Titelsong der Tour und des neuen Albums) daher: Auf riesigen Leinwänden werden Kinder- und Familien-Fotos eingeblendet, die neben Lennys Texten viel über ihn erzählen. Z.B. wie es war, als Kind seiner schwarz-weißen Eltern (sein Vater Sy Kravitz ist ukrainisch-jüdischer Fernsehproduzent, seine Mutter Roxie Roker ba-hamesisch-afroamerikanische Schauspielerin) im Amerika zu Zeiten Martin Luther Kings aufzuwachsen.
Kravitz spielt gekonnt mit der Nähe zu seinem Publikum. Er versteht es noch immer, insbesondere seine weiblichen Fans mit seinem Charme (und den muskulösen, tätowierten Oberarmen!) zu verzaubern. Am Ende der Show taucht Lenny in die Menge ein und klatscht jeden ab, der es schafft, ihm auf seinem Rundgang durch die Halle nahe zu kommen. Wieder zurück auf der Bühne beendet der Weltstar in Begleitung seines Gitarristen Craig Ross einen unvergesslichen Abend mit einer akustischen Version von ›I Belong To You‹.