Wer ein Album mit dem Titel DANCING BACKWARD IN HIGH HEELS herausbringt, der muss schon ein bisschen verrückt sein. So wie Sylvain Sylvain, Gitarrist und Gründungmitglied der New York Dolls. CLASSIC ROCK ließ den Punkrocker einige spannende Begegnungen mit anderen (damals) jungen Wilden rekapitulieren.
Vom Ruhm allein kann sich Sylvain Sylvain, zusammen mit Sänger David Johanson das einzig verbliebene Original bei den New York Dolls, nicht viel kaufen. Zwar war seine Band mit ihrem chaotischen, chemisch-verwirrten und sexuell ambivalenten Rhythm’n’Blues in den Siebzigern durchaus stilprägend für das spätere Punk-Genre, doch Geld im großen Stil ließ sich damit nicht verdienen. „Unterm Strich waren die New York Dolls zwar ein Erfolg“, so Sylvain selbst. „Wir hatten großen Einfluss, mehr als die meisten anderen Bands. Wenn man diesen Einfluss bei der Bank hätte einzahlen können, wäre ich heute ein reicher Mistkerl!“ Doch ein fetter Kontostand ist schließlich nicht alles. Es sind die Erlebnisse und Erfahrungen, die einen reich machen. Und davon hat Sylvain reichlich, wie er CLASSIC ROCK mit breitem Grinsen berichtet.
JOHN LENNON
Früher bin ich oft im New Yorker Central Park rumgehangen, oft traf ich mich direkt nach der Schule mit meinen Freunden am Springbrunnen. Eines Tages sprach mich dort ein Typ und fragte: „Hey, hast du Lust, in einem Film mit John Lennon und Yoko Ono mitzuspielen?“ Ich antwortete: „Klar!“ Doch eine große Rolle hatte ich nicht: Es wurden nur meine Beine gefilmt, angefangen bei den Zehen bis hoch zur Hüfte. Und ich war nicht der Einzige, der mitmachte – in ih-rem Film „Up Your Legs For-ever“ sieht man ungefähr 400 Beinpaare. Ich bekam übrigens genau einen US-Dollar Gage. Nicht gerade viel. Aber als ich mit meiner Szene fertig war und mich vom Acker machen wollte, stand John Lennon plötzlich vor mir und gab mir eine Ausgabe von „Screw“ (berüchtigtes Siebziger-Porno-Magazin für Intellektuelle – Anm.d.Red.). Ich glaube, er hatte es gerade vom Verleger Al Goldstein bekommen.
1975 bin ich Lennon noch einmal begegnet, während einer Aufnahme-Session in der „Record Plant“ in New York. Wir haben dort mit den Dolls ein Demo aufgenommen – ich schrieb gerade den Song ›Teenage News‹, von dem unser Manager dachte, dass er ein Riesenhit werden würde. Doch bei den Recordings lief alles schief. Erst tauchte unser damaliger Gitarrist Johnny Thunders nicht auf, und dann ging es auch noch unserem Bassisten Arthur Kane schlecht. Also lief ich uninspiriert den Gang auf und ab. Da sah ich auf einmal John Lennon auf dem Flur stehen und sprach ihn an: „Hey, John, ich habe in deinem Film mitgespielt!“ Wir haben uns dann ein bisschen unterhalten. Er hatte gerade mit Yoko Schluss gemacht und war mit May Pang zusammen – sie stand auch irgendwo rum. Ich sagte zu John: „Komm mit, ich zeig dir meine Gitarre!“ Dann holte ich meine legendäre Gretsch White Falcon raus, und Lennon schnallte sie sich um. Er spielte ein paar Akkorde und sagte erstaunt: „Ich hätte nicht gedacht, dass das Teil so groß ist!“ Ich darauf: „Es ist im Grunde keine Gitarre, sondern ein Cadillac.“
MICK JAGGER
1972, nachdem uns der „Melody Maker“ aufs Cover genommen hatte, spielten wir mit den Dolls in London, als Opener für Status Quo. Es kamen einige Hundert Fans zu dem Gig, und da wir gerade keinen Deal hatten, waren auch etliche A&Rs im Publikum. Eine der Plattenfirmen, die sich für uns interessierte, war „Sticky Fingers“, das Label der Rolling Stones. So kam doch tatsächlich Mick Jagger vorbei, um sich uns anzusehen. Er hat aber darauf verzichtet, uns einen Vertrag anzubieten. Wahrscheinlich dachte er, wir wären ein Haufen Scheiße. Der Schatten von Jagger verfolgt uns ohnehin. Das letzte Mal, als wir in Frankreich auf Tour waren, liefen die Leute hinter unserem Sänger David Johansen her, weil sie der Meinung waren, Mick Jagger vor sich zu haben. Sie wollten ein Autogramm von ihm. Der armer Kerl!
KISS
In den Anfangstagen von Kiss, als sie noch eine Art Cowboy-Band waren, spielten wir mit ih-nen in kleinen Bars und probten auch im selben Haus. Kiss konnten nicht glauben, dass es bei unseren Proben genauso voll war wie bei unseren Gigs. Außerdem stand ständig irgendwas über uns in der Presse. Schließlich begannen sie mit ihrer Schmink-Nummer, mit der wir absolut nichts anfangen konnten. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass wir sie vielleicht erst auf die Idee gebracht haben. Wenn ich die Dolls und Kiss vergleiche, dann kommt es mir so vor, als ob wir auf die Kunsthochschule gegangen wären – und aufgrund dieser Erfahrungen mit Make-up und Sexualität experimentieren konnten, während Gene & Co. im Grunde nur dachten: „Hey, das machen wir auch!“ Und sie betonten ihre Männlichkeit, wie Machos. Das ist doch echt infantil. Zumindest wenn man damit Leute erreichen will, die älter als sechs Jahre sind.
LYNYRD SKYNYRD
Bei einer Show in Springfield, Missouri, haben Lynyrd Skynyrd als Opener für uns gespielt und kamen nach dem Gig zu uns in die Garderobe. Wahrscheinlich deswegen, weil dort der ganze Alkoholvorrat stand. Ich erinnere mich noch an das Erste, was sie gesagt haben: „Ihr Typen rockt wie Sau!“ Vermutlich dachten sie anfangs, dass wir ein Haufen Schwuchteln wären. Zumindest so lange, bis sie uns live gesehen haben. Wir hingen zusammen ab und besoffen uns, danach haben sie uns irgendwie akzeptiert. Das ist wohl ein klassisches Südstaaten-Ritual. Da ich in Georgia lebe, habe ich inzwischen sogar den Dialekt richtig gut drauf.
BRIGITTE BARDOT
In den späten Sechzigern habe ich in einer New Yorker Boutique namens „The Different Drummer“ gearbeitet. Auf der anderen Straßenseite gab es übrigens das „New York Dolls Hospital“, einen Laden für Spielzeugreparatur, von dem unser Bandname stammt. Nun, jedenfalls fuhren eines Tages ein paar Limousinen vor der Boutique vor. Und wer stieg aus? Brigitte Bardot! Und wer ist der einzige Bursche im Laden, der Französisch spricht? Mr. Syl Sylvain! Ich bin schließlich in Frankreich aufgewachsen.
Brigitte kam mit ein paar Freundinnen rein, und ich habe ihnen jede Menge Zeug angedreht – sie kaufte alles in der kleinsten Größe. Irgendwann hat mich Brigitte in die Umkleide gerufen, weil sie den Reißverschluss ihrer Jeans nicht zu bekam. Also musste ich ihr helfen. Das war sehr angenehm für einen jungen Kerl wie mich. Sie ist erst gegangen, nachdem sie mehrere tausend Dollar bei uns gelassen hatte. Meinen Boss hat das natürlich sehr gefreut, er klopfte mir auf die Schulter. Ein paar Stunden später klingelte das Telefon: Brigitte war dran und verlangte nach mir. Also ging ich ran und wir unterhielten uns auf Französisch. Sie kündete an, noch mal im Laden vorbeizukommen, um all die Sachen, die sie gekauft hatte, gegen dieselben in einer anderen Farbe umzutauschen, weil sie nicht Dasselbe tragen wollte wie ihre Freundin. Ich sollte schon mal alles zur Abholung einpacken. Nach dem Gespräch fragte mich mein Chef, was sie gewollt hätte. Ich sagte, dass sie mit mir ausgehen wolle. Alle rasteten total aus!