Der Americana-Sänger nimmt auf THE SAINT OF LOST CAUSES kein Blatt vor den Mund, wenn er von Gewalt, Drogen und vergiftetem Wasser erzählt.
Zwar glaube er, dass es da draußen irgendwas gebe, Buddha, Vishnu oder was auch immer, eine religiöse Person im strengeren Sinn sei er aber nicht, sagt Justin Townes Earle, auf das Cover seines aktuellen, neunten Albums angesprochen: THE SAINT OF LOST CAUSES. Darauf ist ebender zu sehen, der Apostel Judas Thaddäus, Helfer in ausweglosen Situationen. Allerdings sei er von seiner gläubigen Mutter katholisch erzogen worden, erklärt Earle, deshalb der Bezug zum Christentum. Und darum die biblische Bildersprache im ersten Song, dem Titelstück, wo er fragt: „If you really stop and think/Between a wolf and a shepherd/Who do you think has killed more men?“
Um Religion gehe es dabei nicht, sondern um ganz konkrete gesellschaftliche Themen. Wer sind also die Hirten, die mehr Menschen töten als die Wölfe? „Das ist eine Frage, die wir uns jeden Tag stellen sollten, wenn wir beschließen, jemandem zu trauen, jemandem zu glauben“, findet Earle. „Du weißt es nie wirklich. Es geht in dem Song um Polizeigewalt, um Priester, die kleine Jungen vergewaltigen, die CIA, die Kokain in die Innenstädte von Amerika pumpt, die Flut an rechtem Denken auf der ganzen Welt.“ Es könne alles sein. Und es sei wichtig, aufmerksam zu sein, diese Dinge zu erkennen.
„Wenn du spielen und eine Nutte willst, geh nach Vegas. Wenn du eine Platte aufnehmen willst, geh nach Nashville.“
Ganz konkret um Umweltverschmutzung dreht sich der Bluesshuffle ›Don’t Drink The Water‹. Hintergrund ist die durch den Kohleabbau bedingte Verschmutzung von Trinkwasser in West Virginia und die steigende Überschwemmungsgefahr durch das Abholzen von Berghängen. Auf eher metaphorische Art nimmt sich die Americana-Ballade ›Frightened By The Sound‹ des selben Themas an. Der Song wirkt wie eine dunkle Vision, wenn der Sänger von drohendem Sturm singt und warnt: „Keep an eye on the river, it’s already up.“ Die Musik dazu ist so eingängig wie Fleetwood Mac oder die Eagles.
Aufgenommen hat Earle die neuen Stücke in Nashville. Denn sein Credo lautet: „Wenn du spielen und eine Nutte willst, geh nach Vegas. Wenn du eine Platte aufnehmen willst, geh nach Nashville.“ Denn dort gebe es einfach die besten Musiker und Studios. Es ist zugleich die Stadt, in der er zur Welt gekommen ist. Sein Vater, der Songwriter Steve Earle, hatte die Familie früh verlassen, also wuchs er bei seiner Mutter auf. Die musste Geld verdienen, weshalb der Sohn viel auf sich gestellt war. Mit dreizehn begann er, Drogen zu nehmen. Es ist eine ähnliche Geschichte wie sie auch ›Appalachian Nightmare‹ erzählt – und damit zurück zu den ausweglosen Situationen. Der Junge im Song wird daheim rausgeschmissen, er dealt mit Drogen, ein paar Jahre später erschießt er einen Cop. Am Ende sitzt er in einem von der Polizei umstellten Hotelzimmer: „No way I’m getting out alive.“
„So etwas passiert, wenn deine Eltern nicht da sind, um aufzupassen, und du zu den falschen Leuten aufschaust“, sagt Earle. „Wenn du in einer armen Gegend aufwächst, dann ist der Kerl mit den schicken Klamotten, dem Auto, dem Schmuck garantiert der Drogendealer. Irgendein Hurensohn kauft sich Poolreiniger und irgendwelchen Bullshit, macht daraus Methamphetamin und hat 100.000 Dollar in der Tasche. Nichts klingt für arme Leute besser als schnelles Geld.“ Der heute 37-jährige Earle schaffte vor mehr als zehn Jahren den Absprung von den Drogen. Dass er mit der Musik etwas hatte, auf das er sich fokussieren konnte, half ganz sicher, neben ein paar Therapien. Das traurige Ende hat er sich für den Song aufgehoben – das gute im echten Leben.