Das Ass im Ärmel der US-Roots-Szene auf dem Zenit seines Schaffens.
Joe Henry ist tatsächlich ein Musiker mit vielen Gesichtern: In den 80ern tauchte er als Singer/Songwriter mit einer Antenne für den Zeitgeist auf der Bildfläche auf, ab Mitte der 90er verlegte er sich dann aufs experimentelle Frickeln, bevor er vor einigen Jahren sein Faible für jazzige Ausreißer entdeckte und bisweilen auf seinen eigenen Platten mehr musikalischer Direktor denn Protagonist war. Mit seinem nun erscheinenden 13. Album geht der Amerikaner den Weg konsequent weiter, den er mit REVERIE (2011) und Billy Braggs letztjährigem Roots-Werk TOOTH & NAIL (für das er seine Stammband und sich selbst als Produzent und Co-Autor zur Verfügung stellte) vorgezeichnet hatte. Auf INVISIBLE HOUR setzt der 53-jährige, mehrfach Grammy-prämierte Tausendsassa erneut auf einen wunderbar naturbelassenen, gefühlsechten Akustiksound im Dunstkreis von Folk und Country, wenngleich die Farbtupfer der Band dieses Mal ein wenig dezenter ausfallen und Henry seine eigene Per-formance wieder deutlicher in den Mittelpunkt rückt. Zwar streift er klanglich die frühen Groß-taten von Van Morrison genauso wie das Spätwerk Bob Dylans, in erster Linie aber ist dieser Songzyklus über Liebe und Ehe die Essenz von Joe Henrys eigenem Schaffen der letzten rund 30 Jahre. Eine bessere Singer/Songwriter-Platte wird man nur schwerlich finden – in diesem oder jedem anderen Jahr.