Kaum jemand stand Jimi Hendrix so nahe wie Eddie Kramer. Der Soundtüftler war an allen Alben des Übergitarristen beteiligt – und arbeitete als Tontechniker und Ratgeber bis zu dessen frühem Tod mit ihm zusammen. Im Interview erinnert sich Kramer an seinen so genialischen wie schüchtern-sanften Schützling, an die Woodstock-Generation und die „verrückten“ 60er-Jahre.
Fast fünf Jahrzehnte ist Jimi Hendrix jetzt tot, und dabei bis heute recht lebendig. Dass er der größte Gitarrist aller Zeiten ist, steht quasi außer Frage – und noch immer wird unbekanntes Archivmaterial zutage gefördert. So wie jetzt auf BOTH SIDES OF THE SKY, einer Songsammlung mit 13 großteils unveröffentlichten Aufnahmen aus den Jahren 1968 bis 1970, fast alle entstanden mit Hendrix‘ Band Of Gypsys. Es war nach dem Ende der Experience eine Phase des Experimentierens und der Neuausrichtung für ihn. Das sagt zumindest Eddie Kramer. Der war nicht nur als Co-Produzent an der neuen Platte beteiligt, sondern stand Hendrix als Tontechniker seine Karriere hindurch zur Seite, er bannte etliche legendäre Live-Perfomances, darunter den Woodstock-Auftritt, auf Band und arbeitete mit Gruppen wie den Rolling Stones, den Beatles und Led Zeppelin.
Am Morgen nach einer abendlichen Listening-Session zu BOTH SIDES OF THE SKY in einer Bar in London, bei der er als Luftgitarrist überzeugte, empfängt der für seine 75 Jahre erstaunlich agile Kramer zum Interview in der Zentrale von Sony Music. Man wird durch verschiedene Gänge geführt, erklimmt einige Treppen, bis man vor einer Wand mit moderner Holzverkleidung steht. Kaum sichtbar darin eingelassen ist eine Art Geheimtür, hinter der sich ein abgedunkelter Raum öffnet. Kramer sitzt darin auf einem Sofa beim Frühstück, vor sich einen Tisch voll Obst, Wurst, Brot, diversen Getränken, und ist gerade dabei, sich ein Brötchen mit Marmelade zu schmieren, das er während des gesamten Gesprächs – nicht ganz geräuschlos – verspeisen wird.
Doch bei dem, was er zu erzählen hat, nimmt man ihm das nicht übel. Und so geht’s zurück in die 60er, das Jahrzehnt, das Jimi Hendrix unsterblich machte, und zu legendären Kollegen wie Bob Dylan und Stephen Stills. Doch zuallererst: Wie fing für Sie selbst eigentlich alles an damals, Herr Kramer,…
…die 60er katapultierten Sie mitten rein ins Zentrum der Musikwelt, wie kam’s dazu?
Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit nach London zu kommen. Meine Mutter war Engländerin, sie ist vergangenes Jahr mit 101 Jahren gestorben, aber aufgewachsen bin ich in Südafrika. In London fand ich heraus, was ich mit meinem Leben anstellen wollte. Ein so aufregender Ort, die Beatles hatten noch nicht einmal angefangen, die ganze Ära der 60er stand unmittelbar bevor. Ich hatte eigentlich eine Ausbildung in klassischer Musik, doch fand ich mehr und mehr zum Jazz und Rock’n’Roll. 1962 war mir klar, wo ich hinwollte: ins Aufnahmestudio. Das Musikbusiness wuchs damals gewaltig, die Beatles, die Stones, Petula Clark, Kenny Ball, daneben die Searchers, die Undertakers, all diese verrückten britischen Bands. Etwas später, als ich wirklich mittendrin steckte, 1967 in den Olympic Studios, wo ich Jimi Hendrix kennenlernte, hob alles ab wie eine Rakete. Es war so überwältigend, dabei zu sein. Mich verbindet eine große Liebe mit England und London, auch wenn ich Jimi 1968 nach Amerika gefolgt bin, wo ich mehr als 40 Jahre lang blieb. Heute lebe ich in Kanada. Eine kleine Geschichtsstunde zur Einführung. (lacht)
Die jetzt erscheinende Songsammlung BOTH SIDES OF THE SKY ist nach VALLEYS OF NEPTUNE und PEOPLE, HELL & ANGELS die dritte in einer Reihe mit teils unveröffentlichtem Archivmaterial. Nach welchen Kriterien wurden die Tracks ausgewählt?
Es war grundsätzlich ein Eliminationsprozess. Das Material, das wir im Archiv hatten, war sehr spezifisch, deshalb mussten wir bei der Auswahl vorsichtig sein. Wir wussten: Wir haben einen Werkkomplex vor uns, der ausgewertet werden will. Bestimmte Lieder, bestimmte Performances gehören zusammen, deshalb sind schon VALLEYS OF NEPTUNE und PEOPLE, HELL & ANGELS voneinander getrennte Werke. Bei den Aufnahmen auf BOTH SIDES OF THE SKY befand sich Hendrix‘ Songwriting in einem Transformationsprozess, das Experimentelle, das Suchen nach dem fertigen Song steht im Mittelpunkt. Es sind keine finalen Takes, dennoch klingen sie fantastisch, man erkennt, mit welcher Kreativität Jimi an seinem Material feilte. Man sieht auch, wie gern er mit anderen zusammenarbeitete und wie flexibel er dabei war, etwa auf den beiden Liedern mit Stephen Stills.
„Das Studio rief mich an und sagte: ‚Hey, gerade ist dieser Typ reingekommen, Jimi Hendrix, willst du mit ihm arbeiten?‘ Darauf ich: Yeah!“ (Eddie Kramer)
In welchem Zustand befanden sich die Aufnahmen?
In einem sehr guten, aber es brauchte dennoch eine Menge Zeit und Energie, sie abzumischen. Ich verbinde in meinem Arbeitsprozess die digitale und die analoge Welt, bringe die beiden Systeme zusammen, denn ich finde niemals alles, was ich brauche, in einer der beiden Welten allein. Am Ende steht allerdings immer das Tape. Es fängt an mit dem Ausgangstape, dann geht es in die digitale Bearbeitung, dann zurück aufs finale Tape.
Sie haben Jimi Hendrix 1967 getroffen. Wie kam’s?
Nun, das Studio rief mich an und sagte: ‚Hey, gerade ist dieser Typ reingekommen, Jimi Hendrix, willst du mit ihm arbeiten?‘ Darauf ich: Yeah! Jimi war erst im Herbst 1966 in England gelandet, bereits im Oktober hatte er seinen ersten Auftritt im Olympia in Paris. Mit ›Hey Joe‹ hatte er seinen ersten Single-Hit, dann kam ›The Wind Cries Mary‹. Im Januar 1967, als ich ihn kennenlernte, war er also schon kein Unbekannter mehr, die Leute wussten: Dieser Kerl ist fantastisch! Und ich sollte die Chance bekommen, ihn zu treffen und mit ihm zu arbeiten. Das war verrückt, ich liebte es.
Hallo, eine große Freude wieder mal etwas von Jimi Hendrix zu hören. Meine Freundin und ich war 1969 mit Hendrix und seiner Band in München und in der Meistersinger Halle in Nürnberg unterwegs, wir waren als Go Go Girls dabei. Hendrix fragte uns in einer Schwabinger Bar in München ob wir mitgehen wollen und so waren wir drei Tage mit ihm und seiner Band unterwegs. Er fand meine Freundin (blond) toll und so kamen wir zu diesem Gig. Jimi war ein sehr zurück gezogener, introvertierter Mensch, Musik war alles für ihn, immer mit der Gitarre in der Hand, egal wo. Es war damals für mich eine unglaubliche Sache und es hat mir auch niemand geglaubt. Bis ich einen Zeitungsauschnitt vom Nürnberger Abendblatt anforderte und es damit beweisen konnte.