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Jethro Tull: Die Zauberflöte

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Jethro Tull: Die Zauberflöte

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Der Name des einstigen Sängers und Bassisten von Pink Floyd kommt in unserem Gespräch mehr als einmal zur Sprache. Mit seinen schrillen Proklamationen zur Besetzung der Palästinenser-gebiete durch die israelische Regierung (was er mit „Apartheid“ vergleicht) und Putins Einmarsch in die Ukraine (den er „nicht unprovoziert“ nennt) ist Waters heutzutage eine polarisierende Figur. Anderson scheint aufrichtig perplex darüber zu sein, wie gewillt sein Zeitgenosse ist, so lautstark seine Meinungen zu äußern, ohne sich Sorgen über die Reaktionen darauf zu machen. „Wie kann jemand, der schon so lange dabei ist wie er, scheinbar nicht in der Lage sein, in dem Verständnis zu handeln, dass man es selber in der Hand hat, seine Ideen so auszudrücken, dass man keine Prügel dafür einsteckt? Er vermittelt seine Überzeugungen mit ziemlich loser Zunge, und sie scheinen etwas verwirrt zu sein und vielleicht nicht auf der Realität zu basieren. Er geht da raus, und poltert und zetert wie so viele andere.“

Anderson selbst scheut allerdings auf RÖKFLÖTE auch nicht davor zurück, aktuelle geopolitische Ereignisse anzusprechen. Das knorrige ›Hammer On Hammer‹ erwähnt Ragnarök und beschwört Bilder der prophezeiten göttlichen Vernichtung herauf, bevor es auf die Jetztzeit blickt: „Vlad the bad, seethes and schemes/An empire past he must renew“, singt Anderson, ein alles andere als verschleierter Kommentar zu dem Mann, der im Kreml das Zepter schwingt. „Ich habe keine Angst um mich selbst, aber um meine Enkelkinder“, sagt er über die aktuelle Situation in Osteuropa. „Ich mache mir Sorgen über das, was ihnen bevorstehen könnte. Aber man kann sich nicht für immer damit quälen, und ich bevorzuge es, optimistisch zu bleiben, indem ich denke, dass Putin der ultimative Bluffmeister ist.“ Anderson hat Freunde in Russland, etwa Boris Grebenschtschikow, den Sänger der bahnbrechenden Prog- Band Aquarium aus den 70ern. „Er ist durch und durch russisch, aber sehr gegen das gegenwärtige Regime, ebenso wie er früher in seinem Leben gegen das damalige Regime war, als es schon mutig war, auch nur zu versuchen, eine Rockband auf die Beine zu stellen.“ Er hat einen weiteren Freund, der für russische Medien arbeitet und mit dem er einen vorsichtigen E -Mail-Austausch versucht hat. „Er weiß, dass ich weiß, dass seine Mails wahrscheinlich überwacht werden, also haben wir das Thema nur sehr vage angesprochen.“ Jethro Tull hatten für den September 2022 eine Tournee in Russland gebucht, die aber verständlicherweise abgesagt wurde, als sieben Monate zuvor die Invasion begann. „Wir hatten auch ein Konzert in Kyiv Anfang letzten Jahres geplant, das natürlich auch nicht stattfand.“

Anderson hat versucht, diesen Auftritt neu zu organisieren, doch der örtliche Veranstalter besteht darauf, dass es noch viel zu früh ist, um das sicher durchzuführen. Ein Teil von Anderson will das Land trotzdem besuchen, wenn auch nur, um einen Guerilla-Gig zu spielen. „Selbst wenn es an einer Straßenecke wäre“, sagt er mit leuchtenden Augen. „Wenn Leute so etwas gemacht haben, war das für die Menschen in Kyiv eine große Freude. Diese Dinge sind wohl alle Teil eines Schlachtrufs. Wenn ich es täte, dann komplett geheim und inoffiziell. Ich würde nicht wollen, dass es aussieht, als käme die Kavallerie über den Berg angeritten. Und vergiss das Finanzielle, es wäre einfach eine positive Geste.“ Der momentante Tourneeplan von Jethro Tull umfasst hingegen weitaus weniger gefährliche Stopps wie Budapest, Gent, Durham und Shepherd‘s Bush in London. Ob in Kriegsgebieten oder nicht – Anderson gesteht, dass es ihm nur wenig Freude bereitet, auf Tour zu sein. „Das war für mich noch nie ein besonderes Vergnügen. Die Konzerte sind der einfache Teil, denn sie sind der Grund, dass man da ist, aber das Reisen dazwischen gefällt mir nicht.“ Noch liegt es in seiner Natur, sich mit vielen Menschen zu umgeben, nicht zuletzt den Mitgliedern seiner Band. „Wir verbringen unzählige Stunden damit, zusammen in Bussen zu sitzen, und auf der Bühne bei den Soundchecks, aber den Rest des Tages bin ich ein Einzelgänger. Ich laufe auch im Regen durch die Straßen und suche das schlechteste indische Restaurant in der Stadt, wo ich dann allein esse. Die anderen frühstücken gemeinsam und treffen sich dann in der Lobby, um zusammen zu tun, was auch immer sie tun.“ Er verzieht das Gesicht. „Schräge Kerle.“

Diese wenig gesellige Art wird sich vermutlich nicht mehr ändern, doch das Touren mit 75 hat auch seine Vorteile. Vor ein paar Jahren wurde bei ihm eine noch gut behandelbare chronisch-obstruktive Pneumopathie diagnostiziert und die körperliche Betätigung der Auftritte dient ihm praktischerweise als aerobische Aktivität. „Im Gegensatz zu den Leuten, die irre Summen Geld ausgeben, um in ihr örtliches Fitnessstudio zu gehen, werde ich tatsächlich dafür bezahlt, meinen Sport zu treiben. Und jeden Abend tausende Worte zu singen, ist wahrscheinlich auch gutes geistiges Training. Das sind alles gute Gründe, um weiterzumachen, selbst wenn es mir keinen Spaß machen würde. Doch es macht mir noch genug Spaß, also kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Zeiten vorbei sein könnten.“ Anderson sagt, er denke schon über den Nachfolger von RÖKFLÖTE nach und hoffe, ihn Ende 2024 zu veröffentlichen. „Da ist noch ein Bus am Horizont. Wenn alles gut geht und ich davon ausgehe, dass mir nichts zustößt oder ich unter ein Taxi falle.“ In der näheren Zukunft stehen weitere große Termine an. In vier Jahren wird er achtzig und Jethro Tull feiern ungefähr zur selben Zeit ihr 60. Band- Jubiläum. „Nullen an Daten und Alter anzuhängen, ist eine ansprechende Idee. Aber eines Tages werde ich zu meiner normalen Untersuchung beim Arzt gehen und schlechte Neuigkeiten mitgeteilt bekommen. Laut Medizinern wollen die meisten Leute das gar nicht wissen. Doch meine Sicht ist, dass wenn man mit offenen Augen da raus geht, eine größere Chance besteht, dass man Ärger schon am Horizont aufkommen sieht und sich so in einer Seitenstraße in Deckung bringen und ihm mit passender ärztlicher Betreuung entgehen kann. Das ist jedenfalls meine Hoffnung“, fügt er fröhlich hinzu. „Dass ich den unvermeidlichen körperlichen und geistigen Verfall noch aufschieben kann.“ Und damit ist unsere Zeit abgelaufen. Mehr Interviews stehen für ihn an und das Einkaufen wird sich auch nicht von selbst erledigen. Armageddon hat Ian Anderson noch nicht ereilt, und das Alter muss auch noch ein paar Jahre warten.

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1 Kommentar

  1. Leider hat diese Erkrankung vermutlich seine stimmlichen Fähigkeiten beeinträchtigt. Seine Stimme klingt in den neuen Songs sehr angeschlagen, brüchig.
    Natürlich spielt das Alter, der Mann wird 76 , mit eine Rolle, aber die Lungenkrankheit COPD ist meiner Meinung nach vermutlich der Hauptgrund seiner stimmlichen Probleme.
    Der Zahn der Zeit hinterlässt leider bei vielen Protagonisten aus der Hoch – Zeit – Ära des Prog-Rocks seine Spuren, leider.
    Für mich bleibt der Trost des Gesamtkataloges der Songs von Jethro Tull bis zum Split mit Martin Barre. Danach war Jethro Tull Legende, wurde das Ian Andersen – Projekt.

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