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Jethro Tull: AQUALUNG – Das letzte Aufbäumen

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Jethro Tull: AQUALUNG – Das letzte Aufbäumen

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Dieser Zwischenfall in puncto Rechtslage mag heute, in einer Zeit, in der jeder jeden wegen allem Möglichen verklagt, wenig spektakulär erscheinen, doch Ian Anderson hat noch eine weitere Anekdote in petto. AQUALUNG hatte gerade erst die Ladenregale der USA erreicht, da beschloss die Aqua Lung Corporation of North America, Hersteller von Tauchausrüstung, Jethro Tull wegen „unpassender Urheberrechtsverletzung“ zu verklagen, und führte die Tatsache an, dass der Albumtitel tatsächlich eine eingetragene Marke war. Das ist scheinbar der Preis, den man dafür zahlen muss, nicht ausreichend informiert zu sein über die Herstellung von Tauchausrüstung.

„Ich schrieb den Text mit meiner ersten Frau Jennie [Franks] und einem von uns kam der Name Aqualung in den Sinn. Ich weiß nicht mehr, ob mir oder ihr, also sollte ich wahrscheinlich ihr die Ehre geben! Es gab damals eine amerikanische Fernsehserie mit Lloyd Bridges namens ‚Sea Hunt‘. Er war eine Art Jacques Cousteau, der alle möglichen Abenteuer unter Wasser erlebte, ein ziemlich realitätsfernes Szenario. Es wurde viel unter Wasser gedreht, viele Szenen mit Lloyd Bridges, der eine Sauerstoff­flasche trug, und diese schweren Atemgeräusche gehörten zu den Audioeffekten. Mir schwebte dieser alte Obdachlose vor, der auf der Straße lebt, unter einem Brückenbogen irgendwo in Süd London, und dachte, dass er wahrscheinlich Bronchitis und Keuchhusten haben würde, weshalb ihm seine Freunde den Spitznamen Aqualung gegeben haben. Ich dachte immer, dass das der allgemeine Begriff für Unterwasser-Atemausrüstung sei. Mir war nicht bewusst, dass es eine geschützte Marke war. Sie griffen uns richtig an, doch dann kam zur Sprache, dass sich das Album sehr gut verkaufte und somit wahrscheinlich ziemlich gute Werbung für die Aqua Lung Corporation of North America war, also ließen sie die Klage fallen und die Sache wurde nie wieder erwähnt. Wir lassen schlafenden Hunde nun also lieber ruhen, sowohl in puncto Artwork als auch Titel!“

AQUALUNG erschien im März 1971 in Großbritannien und zwei Monate später in den USA, wurde auf beiden Seiten des Atlantiks aus dem Stand zum Charterfolg und stellte sicher, dass Jethro Tull als eine der bedeutendsten Rockbands ihrer Zeit anerkannt wurden. 1971 war ein erstaunliches Jahr in der Musik und brachte zudem weitere Prog-Klassiker wie FRAGILE von Yes, NURSERY CRYME von Genesis, PAWN HEARTS von Van der Graaf Generator und TARKUS von Emerson, Lake and Palmer hervor. Doch so wichtig es auch für die Evolution des Progressive Rock als Musikform gewesen sein mag, scheint AQUALUNG dennoch abseits dieser anderen Alben zu stehen, musikalisch wie textlich. Genervt von Vermutungen, die Platte sei ein Konzeptwerk, verbrachte Anderson das folgende Jahr mit dem Schreiben und Aufnehmen von THICK AS A BRICK, eine nicht gerade subtile Parodie auf die gesamte Idee von Konzeptalben, die ihre Zuhörer dazu herausforderte, ihre abgehobene, komplexe und ehrgeizige Täuschung ernstzunehmen. Rückblickend ist er zufrieden, den richtigen Weg gewählt zu haben. „Mit der Zeit wurde der Prog ein ziemlicher Witz.

Die typischen Progbands waren Spaghettidudler wie Yes und Emerson, Lake and Palmer, die sich eine gute Idee schnappen und sie auf ganze Tage ausdehnen konnten. In musikalischer Hinsicht taten sie das natürlich oft auf bewundernswerte Art und Weise, aber man musste hart arbeiten, um sich da durchzufressen. TARKUS war ein Album, das ich mir 1971 oder so kaufte, und da waren tolle Melodien darauf, aber es anzuhören war harte Arbeit, ebenso wie es harte Arbeit war, sich damals Frank Zappas Werken zu widmen. Aber es muss wohl nicht alles leicht sein, oder? Einiges davon war albern, wenn man etwa an Peter Gabriel denkt, der sich wie eine riesige Sonnenblume anzog. Das war lächerlich.“ Aber lächerlich ist doch sicher besser als langweilig, nicht wahr? „Nun ja, bestimmt, es war ja die Ära von Monty Python und diesem surrealen britischen Humor, das gehörte wie die Rockmusik jener Zeit zu unserer Kultur. Wir wuchsen alle mit The Goons, Tony Hancock und diesem aufstrebenden, eher mysteriösen britischen Humor auf, der teils Tanzhalle, teils Slapstick war, aber auch wirklich seltsames Terrain betrat. Mit Monty Python wurde es dann so richtig schräg und ich denke, das gefiel uns allen, diese absurden Gegenüberstellungen, die surrealen Ausdrucksformen. Es war Humor, der nicht immer besonders lustig war, und wenn man heute darauf zurückblickt, denke ich, kann man sehen, wie unlustig vieles von Monty Python wirklich war. Doch diese Leute forderten unsere Wahrnehmung von Humor heraus. Es war progressiv. Prog-Humor! Und wie diese Comedians suchten wir Prog-­Musiker da draußen nach den Grenzen und viele von uns fanden sie irgendwann auch! Hahaha!“

Älter, weiser und weniger interessiert daran, die Wahrnehmung der Leute von dem, was Rockmusik erzielen kann, herauszufordern, ist Anderson eindeutig sehr stolz auf AQUALUNG und dessen Effekt auf die Karriere einer jungen Band vor 40 Jahren. Pläne, es dieses in ganzer Länge zu spielen, ähnlich wie schon 2006 zum 35. Jubiläum, versprechen neue Impulse für diesen Klassiker der Prog-Geschichte und bestätigen Andersons Glaube, dass die Songs, die er mit 24 schrieb, noch immer sowohl ein altes als auch ein neues Publikum berühren. Doch vor seinem Abschied teilt er noch ein bisschen weltliches Wissen mit männlichen Tull-Fans in einem gewissen Alter.

„Wenn wir in Amerika vor unserem alternden Publikum spielen, sage ich manchmal: ‚Alle, die in den letzten 18 Monaten eine Prostatauntersuchung hatten, heben jetzt die Hand‘“, grinst er. „Worauf dann peinliche ­Stille folgt. Also sage ich: ‚Na kommt schon!‘ Dann fahren zwei Hände in die Höhe, und dann hebe ich meine. Es ist nun mal so, dass wenn man über 50 ist, man sich da jedes Jahr untersuchen lassen muss. Man erinnere sich an Frank Zappa oder meinen Kumpel Tony Snow, all die Leute, die Krebs hatten und es nicht überlebten. Also sorge ich dafür, dass alle peinlich berührt sind, aber am Ende dann auch für Erheiterung wenn ich sage: ‚Okay, hier ist ein neuer Vorsatz für all euch ältere Typen – regelt das! Und was könnte besser sein, als das sofort zu tun!‘ Dann frage ich nach Freiwilligen. Haha! Ich bin mir sicher, dass jemand eines Abends meinen Bluff auffliegen lassen wird, aber in der Zwischenzeit gewinne ich so gute zwei bis zweieinhalb Minuten, in denen ich mir meinen Lebensunterhalt nicht mit Musikspielen verdienen muss! Haha!“



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