Der Deep Purple-Frontmann und der Black Sabbath-Gitarrist über ihre erneute
Zusammenarbeit, den Bau einer Schule und die Tatsache, dass zwischen ihnen persönlich noch nie so etwas wie Rivalität bestanden hat.
Nein, wir schreiben nicht mehr das Jahr 1983. Obwohl sich zwei Menschen zum CLASSIC ROCK-Doppelinterview eingefunden haben, die seit dieser Zeit nicht mehr unbedingt miteinander assoziiert werden: Ian Gillan (links im Bild) und Tony Iommi. Um Black Sabbath beziehungsweise deren 1983er-Werk soll es heute jedoch nicht gehen. Die Gitarrenlegende und der Ausnahmesänger sprechen über ein ganz anderes Projekt: Who Cares. Unter diesem Namen haben die beiden soeben eine Single veröffentlicht, deren Erlös dem Bau einer Musikschule im armenischen Gyumri zu Gute kommt. Gyumri, die zweitgrößte Stadt Armeniens, liegt in der Nähe von Spitak, einem Ort, der am 7. Dezember 1988 von einem schweren Erdbeben fast vollständig zerstört wurde. Viele Bewohner, die sich aus den Trümmern retten konnten, leben heute in Gyumri. Im Rahmen von „Rock Aid Armenia“ halfen Gillan und Iommi bereits 1989 mit der Beteiligung an einer Tribute-Version von ›Smoke On The Water‹ mit, Gelder für den Wiederaufbau der gebeutelten Region zu sammeln. Nun haben sie sich erneut zusammengetan, um Hilfe zu leisten. Mit von der Partie sind weitere Gast-Stars, die ebenfalls einen unentgeltlichen Riff-Beitrag zu den beiden aktuellen Single-Tracks ›Out Of My Mind‹ und ›Holy Water‹ leisten wollten: Jason Newsted (ehemals Metallica) hat sich beteiligt, ebenso Ex-Purple-Kollege Jon Lord, Iron Maiden-Drummer Nicko McBrain und auch HIM-Gitarrist Linde Lindström. Im Kern besteht Who Cares jedoch aus Iommi und Gillan – und wie es aussieht, wird es nicht bei dieser einen gemeinsamen Veröffentlichung bleiben. Das zumindest deutet das Duo im CLASSIC ROCK-Interview an…
Wie ist das Projekt Who Cares zu Stande gekommen?
Ian Gillan: Tony und ich waren gemeinsam in Gyumri, um eine Auszeichnung in Empfang zu nehmen. Die Ehrung war für unseren früheren Einsatz ge-dacht, als wir im Rahmen von „Rock Aid Armenia“ Geld für die Bedürftigen in der Region gesammelt haben. Ich erinnere mich noch gut an den Trip, denn ich reiste persönlich nach Spitak, um mir vor Ort einen Eindruck zu machen, wie schlimm die Lage wirklich war. Insgesamt hatten damals rund 25.000 Menschen ihr Leben verloren, und circa eine Million waren von heute auf morgen obdachlos geworden – mitten im Kaukasus, noch dazu im Winter. Diesen Schock merkte man den Leuten noch immer an. Ich nahm daher einige bleibende Erinnerungen mit nach Hause und verarbeitete das Gesehene schließlich in einem Song namens ›Pictures Of Hell‹ (erschienen auf Gillans 2009- er-Soloalbum TOOLBOX, Anm.d.Red.). Schließlich klagte mir der Bürgermeister von Gyumri sein Leid. Er sagte: „Ian, es gibt hier keine Musik mehr. Niemand singt oder spielt bei Hochzeiten, die Jugendlichen lernen kein Instrument mehr, seit die Musikschule bei dem Beben zerstört worden ist.“ Ich antwortete ihm: „Wenn ihr wieder so weit seid, dass ihr Musik ertragen könnt und euch wirklich der Sinn da-nach steht, eine neue Schule zu bauen, werde ich alles daran setzen, euch zu helfen.“ Tony und ich kamen daraufhin auf die Idee, Who Cares aus der Taufe zu heben. Für uns war das die perfekte Gelegenheit, endlich einmal wieder zusammenzuarbeiten – zumal wir uns beide gerne an unsere gemeinsame Zeit während Sabbaths BORN AGAIN-Phase zurückerinnern.
Wie viel Geld müsst ihr sammeln, um den Bau der Schule finanzieren zu können?
Ersten Schätzungen zufolge wird es rund eine Million Euro kosten, um die Sache ins Rollen zu bringen. Für armenische Verhältnisse ist das natürlich eine ganze Menge. Aber ich freue mich wirklich, dass wir dieses Musikschul-Projekt angehen – die Menschen werden wieder singen, lachen, tanzen, das ist eine gute Sache. Die staatlichen Stellen vor Ort unterstützen uns bei der Umsetzung, wo sie können – zudem ist gerade ein kalifornischer Architekt in Armenien eingetroffen, der sich der Sache annehmen wird. Wenn wir ausschließlich Arbeiter aus der Region beschäftigen und alles so vorangeht, wie wir uns das wünschen, ist es sogar realistisch, dass wir nur die Hälfte des Budgets ausgeben müssen und dann noch Geld über ist, um weitere Projekte anzuschieben.
Habt ihr die beiden neuen Songs speziell für diesen Anlass komponiert?
Tony Iommi: Ja, aber es bereitete uns keine große Mühe. Alles ging sehr schnell. Ian kam auf die Idee, das Projekt Who Cares zu nennen, und wenig später kam er auch schon mit einigen passenden Texten ums Eck. Wir waren beiden richtiggehend euphorisch und mit Feuereifer bei der Sache. Daher hatten wir die Stücke innerhalb weniger Tage fertig komponiert und arrangiert.
Ian Gillan: Ich glaube, das liegt daran, dass die Lieder uns so berühren, nicht nur rein musikalisch, sondern auch geistig. In ›Out Of My Mind‹ erzähle ich, welche schrecklichen Dinge die Menschen durchleben mussten, und ›Holy Water‹, das eigentlich ein Blues-Song ist, startet mit einem Intro, in dem ein Duduk zum Einsatz kommt, ein traditionelles armenisches Blasinstrument aus Holz. Ich hätte nie gedacht, dass es sich so wunderbar mit Tonys Gitarre ergänzen würde. Es leitet den Hörer in den Song hin und dann wieder hinaus, wirkt dabei wie ein Fluss, der sanft vorbeigleitet. Mit ›Holy Water‹ ist übrigens der Alkohol gemeint – es geht um einen Menschen, der seine Verzweiflung darin ertränkt.
Wenn man sich die Tracks anhört, hat man nie das Gefühl, dass ihr seit beinahe 30 Jahren nicht mehr zusammengearbeitet habt. Wie fühlt ihr euch angesichts der neu belebten Partnerschaft?
Ian Gillan: Es fällt mir leicht, mit Tony zu komponieren. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er einen charakteristischen Stil hat, auf den man sich ohne Probleme einstellen kann. Man hört ein paar Akkorde und weiß sofort, woran man ist und in welche Richtung die Texte gehen müssen, damit sie die Musik perfekt ergänzen. Und ich kann mir bei ihm stets sicher sein, dass der Song gut wird, eben weil Tony dafür bekannt ist, dass er einem Lied eine ganz eigene Note und Identität verleihen kann. Das ist doch genau das, wovon ein Sänger und Texter immer träumt – denn so wird die Arbeit zum Kinderspiel!
Tony Iommi: Wir mussten noch nicht mal im selben Raum sein, um uns zu ergänzen. Ian saß im Nebenzimmer und feilte an den passenden Zeilen, während ich dabei war, die Riffs in Form zu schnitzen. Dann kam er rüber, sang mir seinen Part vor – und alles passte zusammen.
Ian Gillan: Es macht Spaß, so zu arbeiten. Denn die simpelsten Ideen sind meist die besten – ich bin der Ansicht, dass die größten Hymnen aller Zeiten oft in nur 20 Minuten entstanden sind.
Ist nach dieser Single Schluss – oder plant ihr bereits eine weitere Kollaboration?
Ian Gillan: Wir haben darüber gesprochen, ja.
Tony Iommi: Es wäre toll, und wir hätten beide Lust darauf. Im Moment sind wir allerdings noch mit anderen Projekten beschäftigt, aber wenn wir wieder etwas mehr Luft haben, möchten wir an neuen Songs basteln. Denn es macht Spaß, und die Arbeit geht uns auch rasch von der Hand. Was will man mehr?
Bei eurer ersten Zusammenarbeit gab es Streit zwischen den Purple-Fans auf der einen und den Sabbath-Anhänger auf der anderen Seite. Wird sich das wiederholen?
Ian Gillan: Allein der Gedanke, dass zwischen allen erfolgreichen Rockbands notwendigerweise Rivalität herrschen muss, ist eine Schande. Denn zwischen Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath gab es sie nie. Zudem denke ich nicht, dass es diesmal Probleme geben wird. Ich bin und bleibe Teil von Purple, daran wird dieses Projekt sicher nichts ändern.
Tony Iommi: Außerdem sind das heute andere Zeiten. Niemand wird mehr als „Verräter“ abgestempelt, nur weil er mit jemandem zusammenarbeitet, der aus einer anderen musikalischen Ecke kommt. Dave Grohl ist das beste Beispiel dafür. Außerdem kann ein Musiker davon nur profitieren – der Austausch mit anderen Künstlern fördert die Kreativität.
Ian Gillan: Aber ganz ehrlich – bevor wir über weitere neue Songs reden, steht erst einmal etwas völlig anderes auf dem Plan, auf das ich mich schon sehr freue. Nämlich darauf, dass die Schule fertig gebaut ist, die Eröffnungsfeier ansteht und die Kinder mit ihren nagelneuen Instrumenten in der Hand für das Erinnerungsfoto posieren.
Mick Wall