Willkommen zum Rock’n’Roll-Maskenball! Zu Gast bei der großen Horrorshow sind Frankensteins Bräute, Monster, Geister und Mutanten. Mit anderen Worten: Hier gibt’s kunterbunte Kinderkacke galore! Da müssen wir jetzt einfach durch.
Es gibt zahlreiche Gründe, warum Musiker auf eine Bühne streben. Wer romantisch veranlagt ist, bevorzugt gewiss Künstler, die nach eigenem Bekunden aus innerem Sturm und Drang ins Rampenlicht steuern, sei es zum Zweck der Selbstverwirklichung oder gar der edlen Weltverbesserung. Musiker, die offen zugeben, nur deshalb diesen Karriereweg eingeschlagen zu haben, weil Rockstars gemeinhin mehr Geld verdienen als Paketzusteller oder Wurstfachverkäuferinnen, sind schon deutlich rarer gesät und beim kritischen Konsumenten weit weniger beliebt.
Eitelkeit spielt bei echten Rampensäuen natürlich auch eine Rolle, offensive Selbstdarstellung ist ja derzeit ohnehin ziemlich hip. Da wird posiert, dass sich die Balken biegen, selbst ansonsten unauffällige Normalos stellen peinliche Selfies und erschütternd fade Urlaubsfotos ins Netz, bisweilen gar schlimmeres. Warum? Vermutlich, das meint zumindest unsere Redaktionspsychologin Dr. Margarethe Birnbaum-Wumme, „weil sie von der Welt da draußen bewundert werden wollen, was bislang eher den Promis vorbehalten war“. Etwa den Rockstars. Die werden im Idealfall verehrt, geliebt und auf offener Straße erkannt. Sofern sie sich nicht auf der Bühne irgendwas über die Rübe stülpen und nur in der Freizeit ihr wahres Gesicht zeigen. Machen aber manche.
Warum? Vielleicht, weil sie nach Feierabend in Ruhe eine Pizza Diavolo mit extra Peperoni verknuspern wollen, ohne im Ristorante von Autogrammwünschen, Schulterklopfen und Heiratsanträgen behelligt zu werden. Privatsphäre und so. Grundsätzlich nachvollziehbar! Dann würde als Bühnen-Outfit allerdings auch eine entsprechend perforierte, die Vitalfunktionen erhaltende Edeka-Papiertüte ausreichen, eine Verkleidung als satanischer Zombiereiter, der dem apokalyptischen Strahlenunfall mit Hardrock-Gebolze trotzt, wäre nicht zwingend notwendig. Zudem: Hättest ja auch Paketfachverkäufer oder Wurstzusteller bleiben können, dann wären dir aufdringliche Selfie-Jäger und unsittliche Angebote ebenfalls erspart geblieben. Augen auf bei der Berufswahl!
Aber dass es lediglich um die Privatsphäre geht, ist ja ohnehin eher unwahrscheinlich. Womöglich sieht der unmaskierte Zombiereiter einfach nur scheiße… ähh… originell aus. Machen wir uns nichts vor: Als eineiiger Zwillingsbruder von Marty Feldman wäre Jon Bongiovis Karriere vermutlich anders verlaufen. Da hätte eine Edeka-Tüte als Sichtschutz durchaus Sinn ergeben, um zumindest die innere Schönheit korrekt zur Geltung zu bringen. Ansonsten hätte die libidonös-balladengeile Kundschaft Hits wie ›I’ll Be There For You‹ oder ›Born To Be My Baby‹ auch schnell mal als Drohung verstehen können. ›Lay Your Hands On Me‹? Ach… das möchte ich jetzt eigentlich lieber doch nicht so gerne…
Gemeinhin argumentieren die Bewohner der Rock’n’Roll-Geisterbahn aber ohnehin ganz anders: Sie erklären den Mummenschanz einfach mal zum Kern ihres künstlerischen Konzepts. Der Musiker als Kunstfigur, Comic-Charakter, historische Reminiszenz, rätselhafter Unbekannter. Aber mal ehrlich: Das ist nach Kiss, Gwar, Slipknot, Daft Punk und Dutzenden weiteren Maskenmenschen so originell wie Schweinebraten und Knödel auf der Speisekarte eines oberbayerischen Wirtshauses. Menschen Mitte zehn finden das – die Masken, nicht den Schweinebraten – vielleicht noch heute voll krass und total rebellisch. Dürfen sie. Dass eine finnische Band mit teuflisch reptiloidem Outfit einst eine schmerzhaft flache Mainstream-Sause wie den Eurovision Song Contest gewann, erfahren sie noch früh genug.
Man darf manchen Verkleidungskünstlern aber auch getrost einen benasrümpfenswerten Hang zur kalkulierten Wichtigtuerei unterstellen: Langweilige Musik wird dadurch, dass ihre Macher die mutierten Motorrad-Nazis from Hell mimen zwar nicht substanziell spannender, das Drumherum generiert aber zumindest etwas mehr Aufmerksamkeit, und die ist im Show-Biz eine ganz harte Währung. Es soll ja schon Bands gegeben haben, die dank zielgruppenorientierter Maskerade erfolgreicher wurden, als es ihrer musikalischen Talentlosigkeit angemessen gewesen wäre.
Von einer Anklage wegen des mutwilligen Verstoßes gegen §17a, Absatz zwei des Versammlungsgesetzes – landläufig bekannt als „Vermummungsverbot“ – wollen wir aber selbst in diesem Härtefall absehen. Ganz schön nett von uns, oder? Die Freiheit der Kunst erlaubt nämlich auch, verzichtbare Musik in dämlicher Verkleidung zu spielen. Minderbegabte Karnevalskapellen können also aufatmen, ebenso all die semi-kompetenten Hardrock-Mumien, Metal-Monster und EDM-Patienten. Da müssen wir einfach durch.