Halb Amerika liegt ihrem Southern-Alternative-Rock schon zu Füßen, Deutschland wird auch langsam rollig – Zeit, mit einem souligen R’n’B-Album gegenzusteuern, findet Chef Patterson Hood…
Okay, das neue Album GO-GO BOOTS ist keine Absage des Welteroberungsplans der Band – aber: „Es wäre schon toll, wenn man die ganze Welt betouren könnte und dennoch jeden Abend zu Hause im Bett liegen könnte“, findet Patterson, der gerade wegen einer Erkältung ebenjenes hütet, aber dennoch vom heimatlichen Athens in Georgia die neue Truckers-Botschaft predigt. Denn GO-GO BOOTS zeigt nicht nur die gewachsene Experimentierfreude seiner Band, sondern auch seine gewachsene Emanzipation vom Vater: David Hood machte sich als Bassist der Muscle Shoals Rhythm Section einen Namen, die für Künstler wie Wilson Pickett oder Aretha Franklin den Groove niederlegte; in dem von den alten Herren gegründeten Muscle Sounds Sound Studio nahmen unter anderem auch die Rolling Stones auf. „Na ja, er ist auch so stolz auf das, was ich mache – mittlerweile“, lacht Patterson. „Und es ist auch nicht so, als dass er keinen Bezug zu moderner Rockmusik hätte, schließlich hat er z.B. mit Frank Black von den Pixies gearbeitet. Aber diese neuen Songs gehen viel direkter auf das ein, was ich als Kind in mich aufgesogen habe – insofern bin ich es, der stolz sein kann.“
Ausschlaggebend für den Mut zu weniger offensichtlich rockenden Tönen, so Patterson, sei die Chance gewesen, mit den Drive-By Truckers 2009 als Backing-Band für das POTATO HOLE-Album der R’n’B-Legende Booker T. Jones aktiv zu werden. „Das war eine tolle Erfahrung“, schwärmt Patterson. „Und vor allem gab es uns den Mut, so etwas wie dieses neue Album überhaupt anzufassen.“
GO-GO BOOTS ist so etwas wie der ungewollte Zwilling des 2010 erschienenen Album THE BIG TO-DO. „Wir hatten eine großartige Zeit, als wir an all diesen Songs arbeiteten“, erinnert sich Patterson. „Die Studiosession war sehr entspannt, weil wir viel Material hatten, mit dem wir nach Lust und Laune rumspielen konnten.“ Patterson geht nicht so weit, THE BIG TO-DO als Pflichterfüllung an die Fans abzutun, aber: „Die GO-GO BOOTS-Songs waren schon aufregender. Aber es hätte das eine nicht ohne das andere Album gegegeben, weil wir wohl trotz Booker T. wohl nie den Mut gehabt hätten, unsere R’n’B-Ader so auszuleben, ohne gleichzeitig an rockigem Material zu arbeiten.“ Sein einziges Grauen: „Zwei Alben in so kurzer Zeit – wir werden uns zu Tode touren“, stöhnt er melodramatisch. Siehe oben: Auf der Bühne zu stehen ist für den Mann großartig, über Monate von seiner Familie, vor allem von seinen zwei kleinen Kids getrennt zu sein, nicht ganz so: „Ich will einfach nicht verpassen, wie sie größer werden – es geht so verdammt schnell“, gesteht er.
Eins wird mit GO-GO BOOTS offensichtlich: Die Drive-By Truckers nehmen ihre Southern-Wurzeln ernst – und zwar in einer viel umfassenderen Art, als ihr großer Durchbruch 2001 mit der SOUTHERN ROCK OPERA über Lynyrd Skynyrd suggeriert: „Ich hatte damals diese Theorie, dass Lynyrd eine vorweggenommene Südstaaten-Version von Punk Rock waren: Street Kids, die zusammen aufgewachsen waren, am Anfang keinen geraden Ton spielen konnten und dennoch die Welt erobern wollten. Im Nachhinein hat es uns bedrohlich dicht an diese ganze Konföderierten-Rebellen-Redneck-Nummer geführt – was absurd ist, wenn man wie ich in einem der wenigen liberalen Haushalte in Alabama aufgewachsen ist. Ich bin stolz auf die Südstaaten, weil sie ihre ganz spezielle Kultur und ihre ganz speziellen Leute hervorgebracht haben – und davon handeln die finsteren Balladen von GO-GO BOOTS –, aber natürlich ist die ganze Thematik der Bürgerrechte für Afro-Amerikaner ein dunkles Kapitel, das immer über uns schweben wird.“