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Die reine Polemik: Über den Sammelzwang

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Die reine Polemik: Über den Sammelzwang

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Die reine PolemikReden wir zur Abwechslung doch mal über Warzen, angeschnullte Zigarettenkippen, Discounter-Ravioli und wahre Liebe. Und wohin das alles führen kann in der freien Marktwirtschaft.

Der Mensch ist ein Sammler. Natürlich nicht jeder, aber doch ziemlich viele. Warum das so ist, daran scheiden sich die Geister. Anthropologen vermuten, archaische Verhaltensmuster hätten bis heute überlebt, was recht plausibel klingt. Zumal man neolithisch inspiriertes Benehmen auch in Fußballstadien, Bierzelten und auf Bundesautobahnen bezeugen kann – letzteres übrigens nicht nur an der A3 bei Mettmann, Abfahrt Neandertal. Sigmund Freud hingegen, selbst ein begeisterter Sammler von diesem und jenem, betrachtete diese Leidenschaft als Ersatzbefriedigung zur Kompensation unerfüllter Wünsche erotischer Natur. Dass viereinhalb Regalmeter Schlumpf-Figuren, Kronkorken aus aller Welt oder 286 Postkarten mit Ansichten außer Dienst gestellter Verkehrsflugzeuge da irgendwas kompensieren können, erscheint zwar recht bizarr, aber so war er eben, der Sigi. Auch der Homo Rock’n’Rolliensis sammelt fleißig. In erster Linie Tonträger, bisweilen auch Merchandising-Kram. Das ist schön und muss nicht teuer sein. Kann aber. So wie Anfang 2016 bei einer Auktion in Dallas, wo ein originalverpacktes Exemplar des Butcher-Covers der Beatles für 125.000 US-Dollar den Besitzer wechselte. Diese Langspielplatte wird leider nie gespielt werden, denn mit dem Öffnen der Zellophan-Folie würde sich der Wert halbieren. Schade eigentlich. Nun sind seltene Platten das eine, doch in der Königsklasse der Rock’n’Roll-Memorabilien geht’s um emotional noch wesentlich aufgeladenere Artefakte.

Dinge, die dem Subjekt der Anbetung ganz nah waren, etwa jenes blaue Stretch-Kostüm (vermutlich Größe S), das Prince 1999 bei einem Auftritt trug. Vor wenigen Monaten verkauft für 109.000 Dollar. Zeitgleich mit seiner Gitarre namens „Yellow Cloud“, die sogar 225.000 Dollar einbrachte. Bares für Rares! In dieser Preisklasse bleiben Käufer natürlich gerne anonym, da ist kein Platz für „Händlerkärchtchen“ und „achtzsch Euro“ aus der Eifel. Verständlich. Wer in sozial durchaus aufgeheizten Zeiten damit hausieren geht, für ein Original-Toupet von Elton John den Gegenwert einer Zweiraumwohnung hingeblättert zu haben, ist dem Großteil der Rock’n’Roll-Crowd vermutlich suspekt. Okay, vielleicht hat er sich das gebrauchte Haarteil seines geliebten Idols vom Munde abgespart, wird dafür die nächsten zwölf Jahre von Discounter-Ravioli leben und nie wieder die Heizung anstellen – wahre Liebe! Gut möglich ist allerdings, dass Eltons Fif i irgendwo in einem klimatisierten Safe verschwindet, in direkter Nachbarschaft zum eingeschweißten Butcher-Cover, Iggy Pops Lieblingsspritze aus dem Jahr 1973 und dem Fragment einer Fender-Gitarre, einst persönlich hingerichtet von einem missgelaunten Kurt Cobain. Investitionsobjekte mit Traumrendite!

Wollen wir jetzt eine Neid-Debatte aufmachen? O bitte nicht! Wen’s tröstet: Sollte Sammelfreund Freud recht haben, ergibt sich doch ohnehin ein eher schales Bild.
Eltons Pudel im Tresor, dafür aber chronisch unterf…. ach, lassen wir das. Sprechen wir lieber über Warzen. Nicht irgendeine, sondern jene, die Mitte der 90er-Jahre bei einem Auktionshaus in London erfolgreich vertickt wurde. Was bereits damals gewisse Fragen aufwarf. Erstens: Kann man mit Warzen Handel treiben? Zweitens: Welcher Depp kauft sowas? Antwort auf Frage 1: Ja, sofern es sich um ein pulverisiertes Exemplar von Elvis Presley handelt, zu Lebzeiten Seiner Majestät vom Königlichen Leibarzt entfernt und der Nachwelt in einem kleinen Schraubglas erhalten. Zu Frage 2: Kein Depp, sondern eine Deppin, glühende Elvis-Verehrerin und wohnhaft in England. Kurios, fürwahr. Aber manche Fans sind eben erstaunlich schräg drauf.

Der Autor dieser Zeilen durfte selbst einmal bezeugen, was das bedeutet: Während eines Meet & Greet in der Kölner Sporthalle ließ ein mir unbekannter Journalistenkollege eine von Keith Richards angelutschte, ausgedrückte und mangels Aschenbecher am Rand der Deko-Obstschale hinterlassene „West Light“ unauffällig in der Jackentasche verschwinden. Allerdings nicht unauffällig genug. Der Typ, der zufällig neben mir stand, ein langhaariger Musikredakteur eines schwäbischen Hif i-Magazins, sah’s ebenfalls und konnte es kaum fassen: „Hascht du des au grad gsähn?“ – „Allerdings.“ Was zum Teufel hatte der Trophäenjäger damit vor? In Kunstharz gießen und als Briefbeschwerer verwenden? Versonnen dran nuckeln, auf dass der Geist des Rock’n’Roll dem Fanboy in die Glieder fahre? Im klimatisierten Tresor aufbewahren und warten, bis die Gentechnik so weit ist, um aus dem nikotinsatten Erbgut runzelgesichtige Gitarristen zu klonen? Wir werden es nie erfahren. Vielleicht auch besser so.

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