Junge Frauen, schicke Anzüge, eine Schwäche für Kunst, Kultur und Geschichte sowie ein Leben zwischen Jetset, Bühne nebst Studio. Eine Mischung, die der Monaco Franze der Popmusik auch mit 65 in vollen Zügen genießt – und für kreative Geniestreiche wie sein neues Werk OLYMPIA sorgt.
Er ist zwar gerade 65 geworden, aber wie einer der üblichen grauen Panther im Rock-Rentenalter sieht Bryan Ferry nun wirklich nicht aus: Der ewige Stenz trägt Sakko, Hemd, Jeans und Lackschuhe, hat leicht ergrautes, aber volles Haar, trinkt Earl Grey mit einer Scheibe Zitrone und knabbert dazu feines Gebäck. Weshalb eine Audienz bei dem Mann aus Newcastle auch immer etwas wie ein Besuch bei einem englischen Aristokraten hat – selbst oder gerade weil er in einer plüschigen Suite mit Blick auf den Kölner Dom empfängt. „Ein unglaubliches Gebäude, an dem ich mich gar nicht satt sehen kann. Was für ein architektonisches Meisterwerk! Und dann gleich das Museum daneben. Ihr wisst ja nicht, wie gut ihr es habt, dass ihr euch an so wundervollen Bildern erfreuen dürft“, so Ferry. Spricht’s und lässt seinen Sätzen lange Pausen folgen. Eben wie es sich für jemanden gehört, der die künstlerisch-intellektuelle Seite der populären Musik verkörpert und seit 39 Jahren für die schönen, gepflegten und kultivierten Dinge des Lebens steht.
Was er 2010 fortsetzt: Etwa mit einer umfangreichen Kunstsammlung, deren Wert er nicht beziffern will, die aber zu den imposantesten privaten Kollektionen der Welt zählt. Oder auch mit einer adretten Freundin, die zwar erst 28 ist, aber schon sieben älter als seine letzte, und die ihn – so sagt er grinsend – jung hält. „Ich fühle mich kein bisschen älter als mit Mitte 30. Was daran liegt, dass ich liebe, was ich tue. Zudem umgebe ich mich mit jungen Leuten, was ich unglaublich inspirierend finde. Und es ist gut fürs Ego, wenn man es in meinem Alter noch schafft, hübsche Frauen für sich zu gewinnen. Alles andere wäre deprimierend.“ Und Amanda Sheppard, die einer langen Reihe an illustren Gespielinnen folgt (Amanda Lear, Jerry Hall, Lucy Helmore, Lady Emily Compton), scheint ihn auch kreativ zu beflügeln. Denn nach zwei Dekaden an schwächeren Solo-Alben und Cover-Werken (AS TIME GOES BY, DYLANESQUE) präsentiert sich der Dandy mit Working Class-Background wieder in ansteigender Form. Er tourt regelmäßig mit seinen alten Freunden von Roxy Music oder tritt in Indie-Filmen und exzentrischen TV-Serien wie „The Mighty Boosh“ auf, in denen er psychopathische Mörder oder den „King Of The Forest“ gibt. „Das ist nichts, was ich besonders ernst nehme – weil man es gar nicht kann“, gibt sich der reife Charmeur bescheiden.
Weitaus ehrgeiziger ist er dagegen mit seinem neuen Solo-Werk OLYMPIA, das am 22. Oktober erscheint. Schließlich finden sich hier seine ersten Eigenkompositionen seit acht Jahren – einerseits mit dem bewährten Mix aus Pop und Rock, aber auch mit ungewöhnlich starken Electronica-Einflüssen sowie einem Arsenal an hochkarätigen Gästen, die man nicht wirklich mit ihm assoziieren würde. Etwa Jonny Greenwood von Radiohead, Mani von Primal Scream, das Dance-Kollektiv Groove Armada und Flea von den Red Hot Chili Peppers, mit dem Ferry – man höre und staune – ein gemeinsames Hobby verbindet: „Wir kennen uns aus der Kunstwelt. Also wir sammeln sehr ähnliche Dinge und haben uns über einen Händler in New York kennengelernt, bei dem wir beide Kunden sind. Somit treffen wir uns immer wieder bei Ausstellungen und Versteigerungen, wo wir sehr interessante Gespräche führen.“
Was nicht nur abenteuerlich klingt, sondern auch ist. Genau wie die Auftritte von David Gilmour (Pink Floyd), Robin Trower (Procol Harum), Nile Rodgers (Chic), Chris Spedding, Dave Stewart oder – zum ersten Mal seit 1973 – den kollektiven Roxy Music in Originalbesetzung. Sprich: Andy MacKay, Phil Manzanera, Paul Thompson und Brian Eno. „Sie haben zwar nur irgendwelche Kleinigkeiten übernommen – also ein Solo hier und da. Aber es ist toll, mit Leuten zu arbeiten, die man kennt und schätzt, die einer Sache frische Impulse geben können und vor allem jede Menge Spaß mit ins Studio bringen.“ Denn das, daran lassen auch die Songs keinen Zweifel, ist anno 2010 die erklärte Prämisse von Mr. Ferry. Etwa wenn er im Opener ›You Can Dance‹ darüber sinniert, nach Paris zu trampen („das habe ich 1968 wirklich getan – dabei war es saukalt“) und dort kräftig das „Tanzbein zu schwingen“, selbst wenn er da im wahren Leben so seine Probleme hat. „Ich hatte einen Yacht-Unfall. Seitdem habe ich Schmerzen im Knie und kann mich nicht mehr so elegant bewegen wie früher.“ Ein Satz, den er mit demselben schelmischen Grinsen kommentiert wie die Beischlaf-Hymne ›Alphaville‹ (Textauszug: „This is the time for love/ Let’s play together“), das hedonistische ›Heartache By Numbers‹ („I live for the moment/ I long for the day“), das Traffic-Cover ›No Face, No Name, No Number‹ oder die Walgesänge in ›Song To The Siren‹. „Ich wollte da ein bisschen Meeres- und Unterwasser-Atmosphäre haben. Als ich nach etwas Passendem suchte, bin ich auf diese CDs mit Wal-Aufnahmen gestoßen, die ich mir in der Badewanne angehört habe.“ Also wie der Typ in „The Big Lebowski“ – wenn auch in einer größeren Schüssel und mit Dom Perignon statt Haschzigarette.
Wobei das Werk um ein Haar das lange angekündigte Comeback von Roxy Music geworden wäre – hätte er nicht kurzfristig den Stecker gezogen und die zehn Stücke mit besagten Gästen ausgearbeitet: „Ich habe mich dagegen entschieden, weil das Repertoire nicht abstrakt beziehungsweise experimentell genug ist. Deshalb habe ich es alleine durchgezogen. Was keineswegs heißt, dass ich mir in Zukunft nicht vorstellen könnte, noch etwas mit den Jungs zu machen.“ Die Ironie daran: OLYMPIA könnte rein optisch durchaus als ein Roxy-Album durchgehen. Denn Cover-Girl Kate Moss setzt nicht nur die Reihe leicht geschürzter Pin-ups fort, sondern stellt mit ihrer Pose auch einen Bezug zur Kunst her – als Fleisch gewordene Reinkarnation von Édouard Manets Kurtisanen-Porträt aus dem 19. Jahrhundert. „Sie bringt das perfekt rüber“, schwärmt Ferry, der die Fotosession persönlich überwacht hat. „Dieses Lüsterne und Verwegene. Für mich ist sie die Marilyn Monroe ihrer Generation – und die Art, wie sie mit der Kamera umgeht, ist einfach Wahnsinn. Sie beherrscht sie geradezu.“ Qualifiziert sie das auch als eventuelle Lebensabschnittspartnerin? „Ich glaube nicht, dass ich so viel Power habe. Also, da sehe ich dann doch meine Grenzen“, sagt er lachend und genehmigt sich noch ein Tässchen Tee. Earl Grey hat gesprochen.