Und es war wohl das einzige Mal, dass du auch nur in die Nähe des Shreddings gekommen bist.
(lacht)
Ja, das ist wohl wahr. Ich bin normalerweise überhaupt kein Shredder. Meine Devise lautet eher, dass ich nicht schneller spiele, als ich denken kann, und ich denke nicht besonders schnell. Das ist jedenfalls meine Ausrede! Und dann sehe ich diese Jungs auf Instagram, die mit zwölf Jahren ›Eruption‹ im Schlaf spielen können, und frage mich, wie ich im Vergleich dazu dastehe …
Als das in den 80ern und 90ern seinen Höhepunkt erreichte, hatte man ja bisweilen das Gefühl, dass es nur noch um Geschwindigkeit und Zahlen geht anstatt tatsächlich um Musik.
Ja, das war schon eine ziemlich andere Welt. Aber ich sehe die Gitarre bis heute eher als ein sekundäres Attribut. Der Song ist König. In erster Linie dreht sich alles um den Song und die Stimme, und die Gitarre ist eher ein Erfüllungsgehilfe, ein Teil des Klangteppichs, den man darum webt. Wenn sie sich zu sehr in den Vordergrund drängt, droht man, den Faden zu verlieren, den Blick für das große Ganze.
Es überrascht doch sehr, dass einer der größten Gitarristen der Rockgeschichte so über sein Instrument – das fraglos wichtigste für dieses Genre – denkt und es als praktisch sekundär bezeichnet.
Ja, aber das ist es wirklich. Doch natürlich ist es auch von großer Bedeutung. Buddy Holly wäre ohne seine Gitarre nie Buddy Holly gewesen, sie muss dabei sein. Aber was Buddy Holly so großartig machte, waren die Songs und seine Stimme.
Was ANOTHER WORLD eindrucksvoll zeigt, ist, dass du in der Tat auch ein wahnsinnig guter Sänger bist.
Danke, das ist lieb von dir! Ich hatte damals sehr intensiv an meinem Gesang gearbeitet und ging an meine Grenzen wie nie zuvor. Und dann ging ich damit auf Tour, was wirklich hart war. Ich ziehe den Hut vor jedem, der als Sänger auf Tour geht. Man muss sein Instrument über einen sehr langen Zeitraum in Topform halten, durch all den Stress hindurch, und es ist nicht leicht, jeden Morgen aufzuwachen und nicht zu wissen, ob die Stimme noch da ist. Ich weiß noch, wie damals das krönende Highlight meiner Tournee der Auftritt in der Royal Albert Hall sein sollte. Doch an dem Morgen wachte ich auf und meine Stimme war weg, ich konnte nicht mal sprechen. Das war eine echte Qual. Aber danke für das Kompliment, ich war ziemlich stolz, wie weit ich als Sänger gekommen war, und ich musste das auch tun, denn wie gesagt, der Song und die Stimme kommen an erster Stelle, und ich hatte nun nicht mehr Freddie, dem ich das überlassen konnte.
Gab es auch einen Teil von dir, der dachte: „Endlich geht es mal nur um mich, ich stehe im Mittelpunkt“?
In gewisser Weise schon, es war in erster Linie ein Experiment, einfach um mal zu erfahren, wie sich da anfühlt, aber auch als Verdrängung der Trauer, die ich immer noch für Freddie empfand. Ich bin aber niemand, der immer die ganze Aufmerksamkeit will. Ein bisschen ist schön, aber ich brauche das nicht ständig. Als Gitarrist hat man es da sehr gut, man kann sich mal in den Vordergrund stellen und sich dann wieder zurückziehen.
Für manche ist es aber auch ein Ego-Ding. Wir haben in dieser Ausgabe z. B. die Titelstory über George Harrison und sein Solo-Meisterwerk ALL THINGS MUST PASS. Offenbar hasste er es, wenn er in der Presse als „Ex-Beatle“ bezeichnet wurde, denn er wollte lieber als Individuum wahrgenommen werden.
Ja, das kann ich einerseits auch sehr gut verstehen. Aber für ihn war es wohl wesentlich schwerer als für mich. Ich hatte immer meinen eigenen Raum innerhalb der Band und empfand nie das Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen. Aber ich liebte George, ich liebte sein Songwriting, und ich denke oft über ihn nach, denn es gab ja sehr viele Parallelen zwischen uns.
Ein entscheidender Unterschied war wohl, dass George bei den Beatles immer im Schatten von John Lennon und Paul McCartney stand. Bei Queen ragte in der öffentlichen Wahrnehmung natürlich Freddie über alle heraus, doch in kreativer Hinsicht scheint ihr mehr ein Bund aus vier gleichberechtigten Partnern gewesen zu sein.
Ja, und das war ein großes Glück. Wir hatten alle das gleiche Mitspracherecht im Schaffensprozess. Das war nicht immer einfach, aber es war wichtig, dieses Gleichgewicht zwischen uns allen zu haben. Und Freddie hatte absolut kein Ego-Problem. Dass er in der Öffentlichkeit ganz oben stand, war etwas, das wir alle einvernehmlich beschlossen hatten. Wir wollten dieses Image, in dem er die Galionsfigur war. Doch wenn er in Interviews gefragt wurde, ob er der Anführer der Band sei, sagte er immer: „No, darling, I’m not the leader of Queen, just the lead singer“. Wir waren alle Anführer. Das trug wohl dazu bei, dass ich nie dieses Bedürfnis hatte, mich in den Vordergrund zu drängen. Aber ich kann auch nicht behaupten, gar kein Ego zu haben. Als Produzent bin ich wohl ein ziemlicher Bastard. (lacht) Da bin ich recht perfektionistisch, habe ein gewisse Vision und fühle mich im Recht, wenn es um die Umsetzung geht. Ich habe einfach eine sehr starke kreative Energie, aber es ging dabei immer mehr darum, dass die eigene Kreativität gehört wird, nicht so sehr darum, andere zu dominieren.
Aber kreativ zu sein, ist ja quasi per definitionem ein narzisstischer Akt.
Ja, sicher, und das galt für alle vier von uns. Das war oft der Kern diverser Streitereien, aber letztlich auch das, was uns so stark machte.
Was natürlich unweigerlich zu der Frage führt, warum du seit bald 20 Jahren keine neue Musik mehr veröffentlich hast. Hat sich dieser Drang in all der Zeit nie wieder manifestiert?
Doch, natürlich, und ich liebe es, Musiker zu sein. Doch es gibt auch noch eine Reihe anderer Dinge, die mir wichtig sind und denen ich gebührenden Platz einräumen muss. Zum Beispiel meine Arbeit als Astrophysiker. Ich habe mit großem Einsatz, Schweiß und Tränen meinen Doktortitel nachgeholt, und ich liebe es, Astronom zu sein und mich in dieser Welt zu bewegen. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, ich bin in diverse Projekte der NASA und ESA involviert und kann da meinen kleinen Beitrag leisten. Und dann ist da noch der andere große Bereich, der mir sehr am Herzen liegt, mein Einsatz für den Tierschutz. Da bin ich ebenfalls sehr beschäftigt auf allen Ebenen, ob das nun Lobbyarbeit in der Politik ist, Kampagnen, um Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen, oder auch ganz an der Basis schlicht und einfach Tiere zu retten. Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn man einem Tier zu einer zweiten Chance verhilft. Musik ist also nicht das Einzige, was in meinem Leben passiert. Natürlich liebe ich die Musik und sie ist mir enorm wichtig, aber es bedeutet mir auch sehr viel, in anderen Bereichen etwas verändern zu können.
Nun, du hast ohne jeden Zweifel für sehr viele Menschen sehr viel verändert, und selbst du kannst wahrscheinlich nicht mal erahnen, was Freddie und Queen gerade für LGBT-Rockfans bedeuteten …
Vielen Dank, du kannst dir nicht vor- stellen, wie viel es mir bedeutet, das zu hören, da werde ich richtig emotional! Aber manchmal sitze ich hier und denke mir, wer zum Teufel bin ich schon? Es ist schön, auf Dinge zurückzublicken, die man erreicht hat, aber man muss aktiv bleiben und weiter Ziele verfolgen, damit es einem gut geht. Ich mag die Tage nicht, an denen ich nicht das Gefühl habe, etwas Sinnvolles gemacht zu haben. Allerdings merke ich, dass ich nicht mehr so viel Energie habe wie früher, vor allem seit meiner Covid-Erkrankung Ende 2021. An den meisten Tagen überkommt mich plötzlich diese bleischwere Müdigkeit, und dann geht einfach gar nichts mehr, dann kann ich mich einfach nur noch hinlegen. Das ist mir früher nie passiert, es ist wie ein Stromausfall. Aber dafür bin ich jetzt zum Fitnessfreak geworden, seit dem Herzinfarkt trainiere ich, schwimme ich, und ich liebe das! Das ist das neue Ich, das es vorher so nie gegeben hat. (Interview aus dem Jahr 2022)
Dem kann ich nur beipflichten, immer hin ist Sir Brian May 76 Jahre alt, vier Jahre älter als ich.
Auch ich lebe geläutert, fitter als vor geraumer Zeit und kann nur sagen : Es lohnt sich seine eingefahrenen Lebensgewohnheiten bezüglich Fitness zu überdenken, an zu passen. Die dadurch gewonnene Lebensqualität
ist, zu mindesten bei mir enorm.
Mein Lebensgefühl entspricht dem meiner Lebensepoche Anfang der 20ziger Jahre, also vor gut 50 Jahren.
Schön für Sir Brain May dass er sich in seiner Haut wohl fühlt. Ich tue es im gleich.