Hast du noch Kontakt zu John Lydon, der ebenfalls in L.A. lebt?
Nicht wirklich. Aber ich treffe mich ab und zu mit Steve Jones und Paul Cook. Paul besucht mich einmal im Jahr – mit seiner Frau Jeni und seiner Tochter Hollie. Während Steve ja langsam zum Fernsehstar wird. Er war in CALIFORNICATION und PORTLANDIA zu sehen – in großartigen Nebenrollen. Jetzt spricht er ständig und überall vor, und ich hoffe, dass daraus etwas wird. Einfach, weil er tatsächlich der geborene Schauspieler ist.
Während viele deiner einstigen Weggefährten – wie du es in einem weiteren Song beschreibst – schon grün angelaufen sind?
Oh ja, die sind längst verwest.
Wen vermisst du am meisten?
Die Ramones! Keine Ahnung, was die falsch gemacht haben, dass sie so früh gestorben sind, aber irgendwie ist das in ihrem Falle sehr auffällig – als hätte ein Fluch auf ihnen gelastet. Dabei waren sie unglaublich wichtig für uns, also für die britische Punkbewegung. Einfach, weil sie uns gezeigt haben, was wir mit der Musik anstellen und wohin man sie führen konnte. Wir haben sogar mal mit ihnen gespielt – Ende 1977 im Londoner „Rainbow“. Das war auf dem Höhepunkt ihrer Popularität in England, wo sie zu diesem Zeitpunkt riesig waren. Sie wollten Generation X als Support, wahrscheinlich weil sie wussten, dass wir nicht den Hauch einer Chance gegen sie hatten. Aber das war uns egal. Sie haben uns gezeigt, was eine Harke ist, und wir haben es trotzdem geliebt. Leider haben sich Generation X kurz danach aufgelöst…
Woraufhin du nach New York gezogen und zum Solisten geworden bist.
Richtig. Ich hatte das Gefühl, dass ich aus England raus musste, weil ich dort auf unsichtbare Mauern traf. Es war eine ganz kleine Szene, in der man nur eine bestimmte Größe erreichen konnte, aber nicht mehr. Und ich wollte mehr. Weshalb New York genau die richtige Stadt für mich schien. Denn sie hatte eine starke Energie und wirkte sehr inspirierend. Außerdem hatte ich dort einen Manager, nämlich Bill Aucoin, der auch Kiss betreute. Er meinte, ich solle einfach rüberkommen und mein Glück versuchen. Ich war dann ein paar Monate da und habe mir Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen könnte. Bis ich eines Abends zufällig im „Hurrah’s“, einem Club in der 80. Straße, landete. Da war nicht viel los, die Tanzfläche war komplett leer und alles drängte sich an der Bar. Doch kaum hatte ich es geschafft, mir einen Screwdriver zu bestellen, waren plötzlich alle auf dem Dancefloor und sind total ausgerastet. Ich dachte: „Was ist denn hier los?“ – bis mir klar wurde, dass da ›Dancing With Myself‹, die letzte Single von Generation X, lief. Insofern brauchte ich mir also keine Sorgen um die Zukunft machen, sondern nur das fortsetzen, was ich schon hatte.
Wobei Steve Stevens dein Sidekick wurde?
Bill Aucoin hatte uns vorgestellt, und ich meinte zu ihm: „Hör mal, ich brauche deine Hilfe. Ich muss eine Band zusammenstellen und ein Album schreiben. Wenn die Musik nicht deine Sache ist und du lieber etwas anderes machen willst, muss ich das akzeptieren. Aber lass mich jetzt nicht hängen.“ Den Gefallen hat er mir getan – mehr noch: Wir sind wirklich lange zusammengeblieben, nämlich fast zehn Jahre. Einfach, weil wir ein gutes Songwriting-Team waren, wir haben uns wunderbar ergänzt und schon gleich beim ersten Album alles gemeinsam komponiert. Was sich auf REBEL YELL fortgesetzt hat.
Wenn du heute auf die frühen 80er zurückblickst, in denen du einen Hit nach dem anderen hattest, wie verrückt war das? Was war das für ein Gefühl, plötzlich ein Rockstar zu sein?
Großartig! Im Ernst: Es war das Beste, was ich je erlebt habe: Die schönsten Frauen, die größten Hotelsuiten, jeder hat dir gesagt, wie toll du bist, und es war schlichtweg alles umsonst – der Koks, der Alk, der Sex. Es war ein Traum. Und wir haben so viel Geld verdient, dass ich gar nicht wusste, wohin damit. Ich habe mir alles gekauft, wovon ein Junge aus England immer geträumt hat: Ein Riesenhaus mit Pool, ein paar Motorräder, ein paar Sportwagen und alle Drogen, die ich wollte. Es war wie ein Rausch.
Im Internet existiert eine imposante Liste der Frauen, mit denen du zu dieser Zeit liiert gewesen sein sollst.
Oh mein Gott, wirklich?
Sie reicht von Pornosternchen wie Ginger Lynn bis zu Hollywoodstars wie Julia Roberts…
(lacht) Julia „Pretty Woman“ Roberts? Also daran kann ich mich nicht erinnern – so gerne ich das auch würde. Aber wenn da wirklich etwas war, ist sie nicht die einzige, die für immer aus meinen kleinen grauen Zellen verschwunden ist. (lacht) Schade eigentlich…
Kannst du dich noch erinnern, warum du den Song ›Don’t You Forget About Me‹ abgelehnt hast? Und wenn ja: Wie konntest du nur?
Nein, das habe ich nicht. Und Keith Forsey hat mich nie gefragt, ob ich ihn singen wollte. Das ist ein Mythos – eine von vielen Rock’n’Roll-Geschichten, die auf purer Fantasie basieren. Denn er hat es gezielt für die Simple Minds geschrieben. Und wenn die es abgelehnt hätten, wollte er Bryan Ferry fragen, ob er Lust dazu hätte.
Wovon Ferry aber nichts weiß…
Dann war das nur ein Gedankenspiel von Keith. Nach dem Motto: Wenn die Simple Minds keinen Bock haben, frage ich Bryan. Er hat einfach gepokert, was ja ganz normal ist. Doch der Song ist eigens für den Film THE BREAKFAST CLUB entstanden. Er war das Herzstück für den Soundtrack zu diesem John-Hughes-Klassiker. Und selbst wenn uns Keith gefragt hätte: Ich glaube nicht, dass wir das damals hinbekommen hätten. Denn wir waren mit REBEL YELL unterwegs – auf einer zehnmonatigen Tournee. Das Lustige ist nur, dass ganz Amerika bis heute meint, ich hätte den Song gesungen und nicht die Simple Minds, die dort nicht mehr ganz so präsent sind. Weshalb wir uns irgendwann den Spaß gegönnt haben, eine Version davon aufzunehmen. Und egal, wie gut oder schlecht sie ist, sie hat einen Riesenspaß gemacht.
Fortsetzung auf Seite 3