Anderthalb Jahre nach ihrer Trennung melden sich 4/5 von Oasis mit neuer Identität, aber auch jeder Menge Altlasten zurück. Weshalb der Name Noel Gallagher im Interview nicht erwähnt werden darf, der Split absolutes No-Go ist und man sich doch bitte auf den aktuellen Tonträger konzentrieren solle. Alles schön und gut – wenn Liam & Co. dazu wirklich etwas zu sagen hätten.
Das „Landmark“ im Londoner Stadtteil Marylebone hat schon bessere Tage gesehen. Die alte Dame unter den Luxushotels ist leicht angegraut und stickig. Was Liam Gallagher und Gem Archer, Sänger und Gitarrist von Beady Eye, nicht daran hindert, ihre Interviews in der eiskalten, nach Zigarre müffelnden Bar des Etablissements abzuhalten. Einfach, weil es gleich um die Ecke ihres Studios liegt, und es hier – so die Herren unisono – den besten Irish Coffee der Stadt gebe. Den sie gleich zu Beginn des CLASSIC ROCK-Gesprächs ordern und mit Beifallsbekundungen wie „fuckin’ awesome, man!“ verzehren.
Was die Gesamtsituation aber kaum entspannt: Vor der Bar wacht ein Schrank von einem Bodyguard, dass die Herren Rockstars ja nicht gestört werden, und am Nachbartisch verfolgen Manager und PR-Strategen gebannt jedes Wort – als würden hier Staatsgeheimnisse ausposaunt. Oder als könnte der Medienmensch irgendwelche unangemessenen Fragen stellen und bedürfe entsprechender Kontrolle. Was in erster Linie dafür sorgt, dass beide Seiten einen heißen Tanz um die Namen mit den Anfangsbuchstaben „N“ wie Noel Gallagher und „O“ wie Oasis veranstalten. Sie, weil sie es am liebsten komplett ausblenden und abhaken würden, der Verfasser dieser Zeilen, weil er nicht gleich einen Abbruch riskieren möchte.
Der Witz an der Geschichte: Zu den im Vorfeld als „erwünscht“ ausgegebenen Themenbereichen wie „neue Arbeitsweise“, „neue Bandchemie“ oder „neues Album“ haben sie de facto wenig zu sagen – weil sie überall verbale Fallen wittern. Als wolle man ihnen partout an den Kragen. So sei alles „besser und anders“, würde sich „toll anfühlen“ und sei „extrem aufregend“. Nur: Fragt man nach, woran sie das festmachen, also ob sie jetzt mehr Freiheit und mehr Entscheidungsgewalt hätten, geraten sie ins Stocken. Denn das impliziert natürlich das Eingeständnis, dass es früher nicht so war, dass sämtliche Songs von Noel stammen, er der uneingeschränkte Bandleader war und ihm alle anderen lediglich zulieferten.
Kostprobe Liam, der mit schwarzem Hut, schwarzen Handschuhen und schwarzen Klamotten in einem Italo-Western mitspielen könnte: „Es fühlt sich definitiv neu an – denke ich zumindest. Ja, das tut es – ohne Zweifel. Es fühlt sich verdammt gut an, Mann. Obwohl: Eigentlich ist es gar nicht so anders – denn die Musik haben wir geschrieben, wenn du weißt, was ich meine. Aber es ist definitiv neu – ohne Zweifel.“ Was komplett sinnfrei ist. Und zudem in einem Manchester-Akzent vorgetragen wird, der in etwa tiefstem Sächsisch oder Bayerisch gleichkommt. Bis es irgendwann reicht und ein verbaler Vorstoß unabdingbar ist – weil das hier sonst zur Farce gerät: „Warum habt ihr nicht als Oasis weitergemacht? So wie im Sommer 2000, als Noel schon mal ausgestiegen, aber wehleidig zurückgekehrt ist?“ Worauf der jüngere Gallagher scheinbar nur gelauert hat: „Weil Oasis Geschichte sind“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Es gibt kein Oasis ohne Noel. Genauso wenig, wie es Oasis ohne mich gibt. Das ist einfach so. Und weil Noel weg ist, machen wir auch nicht weiter und singen seine Songs. Denn das ist doch alles, was die Leute hören wollen. Und deshalb gibt es keinen Grund, da rauszugehen und nur Andys, Gems oder meine Stücke zu singen. Das wäre hirnrissig. Also mussten wir etwas Neues anfangen. Das haben wir getan.“
Womit der Damm gebrochen ist. Denn obwohl die Gründe für die Trennung „persönlich“ seien und deshalb nicht zur medialen Diskussion stünden, bedauere er die Trennung der erfolgreichen Brit-Band nach 19 Jahren und sieben Alben sehr: „Natürlich ist es beschissen, dass es soweit gekommen ist, und das war ein wirklich Dreckstag. Aber man muss halt weitermachen. Und wir hatten viele tolle Jahre, die die nicht so tollen bei weitem überragt haben. Nur: Das war’s dann auch. Ich laufe nicht heulend durch die Gegend – ich blicke nach vorne.“
Mit einem Album, das bezeichnenderweise DIFFERENT GEAR, STILL SPEEDING heißt („ist mir im Pub eingefallen – intuitiv“), von Altmeister Steve Lillywhite produziert wurde und genau so klingt, wie man es erwartet: nämlich wie Oasis ohne Noel. Also Retro-Rock, der an Beatles, Stones und Who erinnert, auch mal akustisch und extrem poppig daherkommt, aber längst nicht so psychedelisch anmutet wie in der jüngsten Vergangenheit. „Einige Sachen sind sogar anti-psychedelisch“, wirft Gem Archer ein – wenn ihn Liam reden lässt. „Wie etwa ›Bring The Light‹ – das ist Rock’n’Roll alter Schule. Es könnte auch von Jerry Lee Lewis oder Little Richard stammen.“
Was die Abgrenzung von der Vergangenheit unterstreichen soll. Und das scheint wichtiger als alles andere – sogar mehr, als wirklich eigene Akzente zu setzen. Was das Enttäuschende an Beady Eye ist: Man hat die Chance für einen Neustart, für etwas wirklich Frisches, leichtfertig vertan. Eben mit einem radikalen Richtungswechsel und anderen Ideen. Stattdessen macht man lediglich, was man immer getan hat – und ist auch noch stolz darauf. Angefangen mit einem Gesang, der John Lennon zum Teil verblüffend ähnlich ist, und Songs wie ›The Roller‹, die sich derart ungeniert bei Klassikern wie ›Instant Karma‹ bedienen, dass es fast einem Plagiat gleicht.
Doch was erwartet man von einem Frontmann, der sich nach dem zweiten Irish Coffee als Reinkarnation des ermordeten Ex-Beatle bezeichnet – bzw. von seinem Bandkollegen nicht daran gehindert wird: „Lennon war eine Naturgewalt. Und ein bisschen was von ihm steckt definitiv in mir. Das spüre ich.“ So kommt das Ego richtig in Fahrt: Liam berichtet von seinem Besuch bei Yoko Ono im Dakota („magic, man!“) und erklärt lapidar, dass Beady Eye zwar besser als Oasis wären, kommerzieller Erfolg aber längst nicht alles sei. Die Kunst und die Selbstverwirklichung stünden im Mittelpunkt – alles andere zähle nicht. „Wenn es sich nicht verkauft, ist es für mich trotzdem ein Riesenerfolg. Und ich werde keine Ruhe geben, bis die Leute erkennen, was es wirklich ist. Nämlich großartiger Rock’n’Roll.“
Ein eigenwilliger Ansatz, der sich in der Live-Präsentation fortsetzt. Da weigert sich das Quartett standhaft, altes Liedgut zu interpretieren und setzt stattdessen auf die 13 Albumtracks sowie eine Coverversion von ›Sons Of The Stage‹ aus der Feder der Achtziger-Manchester-Band World Of Twist. „Außerdem haben wir jede Menge B-Seiten, die wir einstreuen können. Alles andere würde nicht passen, Mann. Insofern konzentrieren wir uns auf das Album – und nichts anderes.“ Was sie sich allerdings nur in mittelgroßen Clubs vor eingeschworenen Fans erlauben können, die ohnehin alles abfeiern. Nicht aber vor einem Massenauditorium. Das müssen sie sich erst erspielen und von seinen Qualitäten überzeugen. Bis dahin werden sie immer Ex-Oasis sein und einen übermächtigen Kritiker haben: Der mit dem bösen N, der sich derzeit im Vaterschaftsurlaub befindet, aber jede Gelegenheit nutzt, um gegen seine ehemaligen Kollegen zu wettern. So kommentierte er Beady Eye unlängst mit den Worten, es wäre traurig, dass sich sein Bruder in knapp 18 Monaten keinen besseren Namen habe einfallen lassen. Womit er den Nagel auf den Kopf trifft. Denn wenn man Liam auf das „wachsame Auge“ und seine tiefere Bedeutung anspricht, erntet man ein trockenes: „Keine Ahnung. Es ist besser als wachsamer Ellbogen. Aber es ist nur ein Name. Einer, der mir gefällt – mit einem guten Vibe. Soll Noel doch erst mal was Besseres machen.“
Zumal sich der 38-Jährige sicher ist: „Irgendwann wird er schon ankriechen, um sich zu entschuldigen. Aber dann ist es zu spät: Weil wir längst woanders sind.“ Vorerst sitzt er aber erstmal in einem protzigen Hotel, trinkt alkoholische Heiß-Getränke und ist so charmant wie ein Pitbull. Keine Ahnung, ob man ihm da wirklich Glück wünschen soll.