Eddie Van Halen war ein Visionär an der Gitarre, doch er und seine Bandkollegen waren auch grandiose Songwriter. Das zeigte die Truppe schon 1978 auf ihrem legendären Debütalbum. VAN HALEN I Track by Track:
›Runnin’ With The Devil‹
Beide Male, die Van Halen diesen Song als Demo aufnahmen – erstmals 1976 unter der Ägide von Gene Simmons, dann erneut 1977 mit Ted Templeman und Mo Ostin als Produzenten –, folgte er direkt auf ›House Of Pain‹. Der einzigartige dissonante, absteigende Klangeffekt im Intro, erzeugt durch eine Sammlung von Autohupen und Tonbandmanipulationen, war tatsächlich das Outro von ›House Of Pain‹, und die Hupen waren immer kurz in jenem Stück zu hören. Der Effekt war zwischen den Nummern etwas irritierend, doch Templeman erkannte, dass er als Intro für Aufmerksamkeit sorgen würde, also beschloss er, ›Runnin’ With The Devil‹ als Opener auf dem Debütalbum zu platzieren. Mit seiner simplen Akkordfolge und der melodischen Gitarren-„Soli“ ist es einer der schlichtesten Songs, die Van Halen je einspielten, doch genau wie ›Smoke On The Water‹ und ›Iron Man‹ zieht es aus eben dieser Tatsache einen Großteil seiner Kraft. Doch, um Roths Text etwas modifiziert wiederzugeben, die einfachen Dinge waren gar nicht so einfach. Kleine Verzierungen – der Harmoniegesang im Refrain, der tiefe Groove der
Rhythmussektion, der ebenso swingt wie stampft, und selbst die Art, wie Eddie im Intro zwischen der Brücke und dem Anschlag seiner Ibanez Destroyer über die Saiten fährt – machen diese Aufnahme praktisch unnachahmlich. Das herausragendste Element daran ist vielleicht die rohe, brutale und hungrige Attitude der Band. Etwas, das nur in diesem magischen, alles entscheidenden Moment existiert, wenn ein Act sich der großen weiten Welt vorstellt.
›Eruption‹
Der Song, der eine Generation von Möchtegern-Gitarristen verwirrte, inspirierte und einschüchterte. Die ersten paar Sekunden sind praktisch 1:1 vom Intro von ›Let Me Swim‹ der 70er-Boogierocker Cactus geklaut, doch was dann folgt, ist vielleicht das innovativste, bahnbrechendste und schlicht umwerfendste Beispiel von Rockgitarrengenie der letzten vier Jahrzehnte. Eddies Tour de Force explodiert mit blitzschnellen Läufen, heulenden Pinch-Harmonien, unglaublichen Sturzflügen, Referenzen an Geigen-Etüden aus dem 18. Jahrhundert und furiosem Tremolo-Picking – unter anderem. Und auch wenn dies nicht der erste Song war, auf dem man je Tapping hörte, war es doch das erste Mal, dass man einen Gitarristen erlebte, der es eine halbe Minute lang tat. Bis heute der Maßstab, an dem alle Shredding-Orgien gemessen werden, doch das heißt noch lange nicht, dass EVH allzu beeindruckt war. „Am oberen Ende ist ein Fehler“, sagte er in Guitar World. „Wann immer ich das höre, denke ich: ‚Mann, das hätte ich besser spielen können‘.“
›You Really Got Me‹
Diese Coverversion des Kinks-Klassikers feierte Monate vor dem Debütalbum auf dem Radiosender KMET in Los Angeles Premiere. Angeblich wurde sie hastig veröffentlicht, weil Eddie sie Barry Brandt von Angel vorgespielt hatte, die dadurch inspiriert wurden, ihre eigene Fassung aufzunehmen. „Es ärgerte mich, dass unsere erste Single ein Lied von jemand anderem war“, sagte Ed. Doch Van Halen machten sich den Song wahrlich zueigen mit dreiteiligem Harmoniegesang, Eddies knackigem Gitarrenklang und dem ersten Vorgeschmack seiner revolutionären Tapping-Technik. Kein Wunder, dass die Version von Angel nie das Licht der Welt erblickte.
›Ain’t Talkin’ ’Bout Love‹
Ebenso wie Slash sein legendäres Intro zu ›Sweet Child O’ Mine‹ als Witz abtat, spielte Eddie Van Halen ›Ain’t Talkin’ ’Bout Love‹ herunter als „nur ein dummes Stück, einfach zwei Akkorde“. Doch, um es mit den Worten von Spinal Tap zu sagen: Es ist ein schmaler Grat zwischen dumm und clever. Und dieser Klassiker vom Debütalbum von 1978 (ebenso wie Slashs Schöpfung auf ›Sweet Child‹) gehört ganz klar in letztere Kategorie. Es war einer der letzten Songs, die für VAN HALEN geschrieben wurden, und Eddie hatte diesen geradlinigen Zwei-Akkord-Hammer ursprünglich als Salve gegen die damals aufkommende Punkbewegung konzipiert. Doch „Punkrock“ nach dem Verständnis von Eddie Van Halen beinhaltet anscheinend ein eröffnendes Riff aus stark mit der Handfläche gedämpften Arpeggio-Akkorden, einen Breakdown in der dritten Strophe voller klingender Harmonien und ein eingängiges, fast gesangsartiges Solo, das er auf der Albumversion auch noch mit einer elektrischen Sitar doppelte. Über die Sitar sagte er: „Sie klang wie eine Gitarre mit unter Strom stehenden Frets. Das Ding war echt seltsam“. Am Ende ging der Witz vielleicht auf Ed, den ›Ain’t Talkin’ ’Bout Love‹ wurde zu einem der legendärsten Songs der Band, einem Dauerbrenner im Rockradio und zum festen Bestandteil der Setlist von fast jeder Tour mit Roth. Ein noch gewichtigeres Zeichen für die Beliebtheit des Stücks ist jedoch, dass es als eines von nur sehr wenigen aus der DLR-Ära auch in den Jahren mit Sammy Hagar live gespielt wurde.
›I’m The One‹
In seinem Kern ist dies ein aufgebohrter Blues-Boogie, der als Sprungbrett für Eddie diente, um sein beeindruckendes Shredding vorzuführen. Dazu kam noch eine Jazz-Scat-Gesangsharmonie als humoristisches Element. Dies war die wahren Inspiration hinter Joe Satrianis ›Satch Boogie‹, denn er borgte sich hier alles aus, von Alex’ donnerndem Doppel-Lick-Shuffle zu Eddies aufsteigenden Dreierläufen. Zahlreiche Shredder folgten diesem Beispiel, aber niemand bekam es jemals so hin wie Eddie.
›Jamie’s Cryin’‹
Dieser poppige Track war einer der wenigen auf dem Debüt, die erst im Studio geschrieben wurden, und hat eines der wenigen Soli auf der Platte, die per Overdub eingespielt wurden. Der saftige Rhythmusklang im mittleren Bereich entsprang einer Ibanez Destroyer Korina, von der Eddie sagte: „Die Gitarre klang großartig – bis ich ein Stück aus ihr herausschnitt, damit sie besser aussieht. Auf dem Cover von WOMEN AND CHILDREN FIRST fehlt ein Stück. Mann, habe ich da Mist gebaut“.
›Atomic Punk‹
Eddie nannte oft Black Sabbath als frühen musikalischen Einfluss, und diese Inspiration kann man auch wirklich hören in den schnellen StakkatoAchteln in den Strophen, die an ›Paranoid‹ erinnern. Doch Tony Iommi spielte nie etwas so brutal aufgedrehtes wie EVHs Intro, wo er einen Sturm aus dissonantem Rauschen heraufbeschwörte, indem er die Saiten mit seiner Handfläche rieb und das Signal mit einem MXR Phase 90 verarbeitete. Das Ergebnis klingt wie ein Hubschrauber, der Kettensägen als Rotorblätter hat.
›Feel Your Love Tonight‹
In den 80ern kopierten zahllose Hair-Metal-Pophits die Formel dieses Songs 1:1, von Roths notgeilem Text bis zu den Nur-Gitarre-und-Gesang-Breakdowns in den Refrains. Doch keine dieser Imitationen kam an die prägnante Beschreibung von Teenager-Lust in diesem Song heran, die sehr effektiv darin war, jugendliche Pärchen zu Rücksitzsport zu animieren. Diejenigen von uns, die in den 70ern volljährig wurden, bemitleiden die Teenies von heute mit ihren Justin Biebers und wie sie nicht alle heißen. Es ist ein Wunder, dass heute überhaupt noch jemand flachgelegt wird.
›Little Dreamer‹
Dieser Live-Liebling der Anfangstage zeigt, wie vollendet und vertraut ein Song klingen kann, der ausführlich auf Tour getestet wurde. David Lee Roth darf hier beweisen, dass er mehr kann, als nur zu heulen, zu kieksen und als hyperaktiver Frontmann über die Bühne zu hüpfen. Dieser Track zeigt, dass er tatsächlich auch singen kann. Und das gut. Eddie zieht mit Stakkato-Pyrotechnik im Solo die Aufmerksamkeit auf sich, doch hält sich ansonsten klar im Hintergrund, um einen brütenden Midtempo-Groove zu kreieren, der Diamond Dave ganz das Rampenlicht überlässt.
›Ice Cream Man‹
Vor seiner Zeit bei Van Halen spielte David Lee Roth diesen notgeilen Blues aus der Mitte des Jahrhunderts – ursprünglich von John Brim – als Solo-Akustiknummer. Das Stück wurde zu einem frühen Live-Standard der Band, bis er auf dem Debüt von 1978 für die Nachwelt konserviert wurde. Daves Gesang und akustische Gitarre (auf offenes E gestimmt) sind Highlights der Studiofassung, doch Eddie ließ es sich nicht nehmen, das mit einem seiner elektrisierendsten Soli überhaupt zu torpedieren.
›On Fire‹
Der letzte Track der Platte war gleichzeitig der Eröffnungssong der zugehörigen Tour. Ein geradliniges Riff und geradlinige Lyrics mit einem Hauch von Heavy Metal. Textlich geht es in klassischer Rock’n’Roll-Manier um pures Feeling und unter anderem um… naja, um ein bisschen Körperlichkeit eben. Am Ende schreit einem David Lee Roth seine hohen „I’m On Fire“-Rufe in die Ohren und bringt diese Platte zu einer würdigen Klimax… ähm, einem würdigen Abschluss.