EXILE ON MAIN STREET für Americana-Fans.
Es ist nicht so, dass Ryan Bingham bisher stilistisch einfach einzuordnen gewesen wäre. Klar: Die große Klammer war der staubige Süden, den er immer mit viel Country unter der Haut beackerte. So gab es auf fünf Alben Folk, bisweilen mit Mariachi-Einsprengseln, dazu groben Texas- und schmutzigen Kneipen-Rock zu hören. Mal mit eigener Band, mal (fast) ganz solo erzählte der Sänger und Schauspieler aus seinem bewegten Leben. Am persönlichsten geriet das jüngste, FEAR AND SATURDAY NIGHT, das er 2015 mit einer ausverkauften Solo-Tour vorstellte. Als er Ende vergangenen Jahres ›Wolves‹, die erste Single aus AMERICAN LOVE SONG von der Leine ließ, lockte er auf die falsche Fährte. Der Song ist wieder einer, der dem zu schaffenden Genre „Bingham-Folk“ zuzuordnen ist – ein tiefsinniges, reduziertes Songwriter-Stück mit therapeutischen Zeilen. Ein Zeichen, dafür, dass sich der Oscar-, Grammy- und Golden-Globe-Preisträger nun stilistisch festlegt? Weit gefehlt. Das dazugehörige Album ist nichts weniger als eine geniale Horizont-Erweiterung: Der Wüstenstaub wird von Bourbon-Strömen aufgesogen und suppt an den Rändern sumpfig in die benachbarten Genres Gospel, Soul, Honky-Tonk- und Southern Rock. Außerdem holt er seinen rauen Bariton aus dem Keller und schwingt sich zu Höhen auf, in denen sonst Americana-Weiterdenker Ryan Adams daheim ist. Mit schlafwandlerischer Stilsicherheit verbindet er diesen Americana-Soulrock mit seinem bisherigen Sound und legt so sein eigenes EXILE vor. Chapeau!
9/10
Ryan Bingham
AMERICAN LOVE SONG
AXSTER BINGHAM RECORDS
Text: Christoph Ulrich