Der Weg war lang und steinig. Doch 18 Jahre nach seinem Ausstieg bei Guns N’Roses ist Saul „Slash“ Hudson endlich am Ziel: Mit Miles Kennedy & The Conspirators hat er eine Killer-Band am Start, legt mit WORLD ON FIRE ein beeindruckendes neues Album vor, ist gesundheitlich fitter denn je, und hat – so sagt er selbst – die Zeit seines Lebens. Eben ohne wüste Exzesse, ohne private Probleme und ohne die Schatten der Vergangenheit. Kein Wunder, dass CLASSIC ROCK einen rundum glücklichen Endvierziger trifft, der wirklich etwas zu erzählen hat.
Und das an einem Ort, an dem er mindestens so deplatziert wirkt, wie Lemmy Kilmister im Bio-Supermarkt. Nämlich dem gutbürgerlichen, wenn nicht spießigen, Skeppsholmen Hotel in Stockholm. Ein Prachtbau auf einer kleinen Insel, die Altstadt und Hafen vorgelagert ist, einen traumhaften Panoramablick über das Venedig des Nordens bietet und im Sommer vor allem von Zahnärzten, Juristen und Managern mit Familie heimgesucht wird. Sprich: Eine gutbetuchte Klientel, die sich dennoch allmorgendlich eine heiße Schlacht am Frühstücksbuffet liefert – und dabei ihr wahres Gesicht zeigt. Ganz anders Slash, der tiefenentspannt mit einer Tasse Tee auf der Terrasse sitzt, die Morgensonne (es ist gerade Mal 10 Uhr) genießt, und für jede Menge verrenkte Hälse und haltloses Getuschel der Marke „wer ist denn das?“ sorgt.
Was wahlweise an seinem provokanten T-Shirt mit der Aufschrift „Don´t be a pussy – eat some“, seiner angewachsenen, verspiegelten Sonnenbrille, dem Nasenring oder den wilden wuchernden Locken liegt, die unter einem schwarzen Lederzylinder hervorquellen. „Das ist doch nicht Lenny Kravitz, oder?“, fragt eine aufgeregte Berufsmutter ihren feinbebrillten Goldesel in pinkem Poloshirt und weißer Leinenhose. „Ach, was wollte der denn in Stockholm? Und dann ausgerechnet hier?“ Die Antwort ist simpel: Der 49-Jährige befindet sich auf einer Promo-Tour für sein drittes Solo-Album WORLD ON FIRE, das Mitte September erscheint, hat eine Schwäche für die schwedische Hauptstadt und war bereits Joggen. Jetzt entspannt er eine Runde vor einem langen Tag voller Interviews, und findet den Kravitz-Vergleich köstlich. „Lenny und ich sind alte Freunde. Wir kennen uns seit der Highschool und haben viel zusammen durchgemacht. Aber verwechselt hat man uns noch nie – zum Glück. Wer weiß, welchen Ärger mir das beschert hätte“, lacht er, hat offensichtlich allerbeste Laune und bittet in seine geräumige Suite im fünften Stock des Hotels.
Natürlich mit Meerblick, noch mehr Tee und einem bulligen Bodyguard namens „Junior“, der sich vor der Zimmertür positioniert hat und zur Begrüßung kurz knurrt. Ob er den Schrank wirklich brauche, um sich vor allzu aufdringlichen Zahnarzt-Gattinnen zu schützen, will CLASSIC ROCK wissen. „Nein, aber es ist immer gut, ihn dabei zu haben. Und sei es nur aus psychologischen Gründen. Denn allein seine Anwesenheit, sorgt dafür, dass mich die Leute in Ruhe lassen. Dass sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen, mich ansprechen oder womöglich gar anfassen zu wollen, was ich so gar nicht mag. Gestern bin ich zum Beispiel eine Stunde durch die Stadt gelaufen, einfach nur zum Spaß. Und da habe ich es sehr genossen, dass Junior mir alles vom Leib gehalten hat. Aber: Es ist nicht längst mehr so wild wie früher, und das ist auch gut so“, spricht´s und nimmt einen kräftigen Schluck Earl Grey.
Breakfast Of Champions
Wobei aber auch Slash längst nicht mehr derselbe ist wie in den 80ern, 90ern sowie frühen 2000ern. Damals war er der personifizierte Rockstar, der keinen Exzess ausließ und mindestens so schnell und hart gelebt hat, wie er spielt. Eben mit wüsten Alkohol-, Drogen- und Groupie-Orgien, mindestens einem klinischen Tod und dem sogenannten „Breakfast Of Champions“ – frei nach Kultautor Kurt Vonnegut Vodka -, das aus Wodka auf Eis mit einem Hauch von Cranberry-Saft bestand. Und meist nicht nur aus einem Glas davon. Nachzulesen in Slashs Autobiographie von 2007, die den vielsagenden Untertitel „It seems excessive, but that doesn’t mean it didn’t happen…“ trägt und auf 480 Seiten nur eine Frage offen lässt: Wie kann ein Mensch nur so viel systematischen Selbstmissbrauch überstehen? Was die Hauptfigur um ein Haar nicht geschafft hätte: Bereits Ende der 90er waren die körperlichen Folgen seines Lifestyles kaum noch zu kaschieren. Er wirkte oft unkonzentriert, fahrig und müde, und musste 2001 – mit gerade 35 – auf die Dienste eines Herzschrittmachers zurückgreifen. Zum Vergleich: Den hat Lemmy erst mit Ende 60 gebraucht.
Ein Indiz dafür, wie wild es der Zylinder-Träger tatsächlich getrieben hat. Und selbst die Jahre danach hat Slash fröhlich weitergefeiert. Bis ihn, was ihm keineswegs peinlich ist, seine zweite Frau und Managerin, Perla Ferrar, ausgebremst hat – und zwar so richtig. Die Folge: Seit acht Jahren gibt es keinen Alkohol, keine Zigaretten und kein Fastfood mehr im Hause Hudson, dafür viel Sport, gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf. Was de facto dafür sorgt, dass der inzwischen 49-Jährige in besserer physischer wie psychischer Verfassung ist, denn je zuvor. Er wirkt fit, frisch und ausgeruht, redet viel akzentuierter als in der Vergangenheit, ist dabei sehr charmant, eloquent und durchaus selbstkritisch.
Kostprobe: „Oh Mann, wenn ich mir heute einige meiner alten Interviews anschaue, dann kann ich nur sagen: Was habe ich da für einen Mist erzählt? Wahrscheinlich, weil ich betrunken war und gar nicht wusste, was ich da tue. Und das ist mir im Nachhinein schon ziemlich peinlich – weil die Leute gedacht haben müssen: Was ist denn das für ein Idiot? Und weil sie mich bestimmt für die Karikatur eines Rockstars hielten. Eben für ein wandelndes Klischee und für ein Sinnbild dessen, was passiert, wenn man nicht aufpasst – wenn man sich in diesem ganzen Mist verliert. Was nichts ist, worauf ich stolz bin. Um Gottes Willen! Aber mir ist das erst bewusst geworden, als ich Vater geworden bin und Perla meinte, dass es so nicht weiterginge, dass meine Söhne einen Vater bräuchten. Was ein echter Weckruf war. Einer, den ich ernst genommen habe und worüber ich verdammt froh bin. Denn wenn ich so weiter gemacht hätte, wie damals, würde ich jetzt kaum hier sitzen und darüber reden, wie gut es mir geht. Ich wäre wahrscheinlich tot. Und darauf haben viele Leute aus meinem Bekanntenkreis sogar Wetten abgeschlossen. Nach dem Motto: Der wird höchstens 40. Scheiße Mann, ich gehe steil auf die 50 zu. Und ich bin glücklich dabei. Einfach, weil ich das Gefühl habe, dass es immer besser und immer leichter wird, dass ich quasi erst anfange, richtig aufzudrehen.“
Kim Jong-Rose
Was nicht nur eine Frage des Lebenswandels und des bewussten Umgangs mit Körper, Geist und Gesundheit ist, sondern auch der eigenen Vergangenheitsbewältigung. Die scheint nach 18 Jahren und sieben Alben mit Slash´s Snakepit, Velvet Revolver sowie als Solist soweit abgeschlossen zu sein, dass er in Interviews kaum noch über Guns N‘ Roses reden muss bzw. überhaupt darauf angesprochen wird. Selbst, wenn das Thema eigentlich unerschöpflich ist. Sei es, weil Axl Rose, das letzte verbliebene Originalmitglied, die Superstars der 80s immer weiter zur Parodie ihrer selbst verkommen lässt, seine Backingmusiker wechselt wie Unterhosen und inzwischen bei sogenannten „Vegas residencies“ – bei Elvis- und Liberace-mässigen Casino-Engagements angekommen ist. Der Albtraum eines ambitionierten Musikers. Und für Slash immer noch ein absolutes No-Go.
Genau wie Albumproduktionen, die länger als ein Jahr (geschweige denn 16) dauern, permanente Konzertabsagen, verspätete Auftrittszeiten oder eine interne Kommunikation, die an Nordkorea erinnert. Darüber kann er, der sich im Oktober 1996 – nach immerhin einer Dekade – ausgeklinkt hat, nur süffisant lächeln. Eben wie jemand, der froh ist, dass er das hinter sich hat – und immer noch lebt bzw. eine aktive Karriere hat. Im Grunde sogar eine, die ihn glücklicher macht als 33 Millionen verkaufter Exemplare von APPETITE FOR DESTRUCTION und 39 Millionen von USE YOUR ILLUSION I & II.
Selbst wenn er heute weitaus kleinere Brötchen backt. „Solche Verkaufszahlen wären gar nicht mehr möglich, weil sich die Industrie komplett verändert hat“, sinniert Slash. „Aber ich weine diesen Zeiten nicht nach. Einfach, weil sie eine großartige Erfahrung und eine noch bessere Lehre waren, und ich auch mit weniger zufrieden bin. Denn das, was ich heute mache, ist viel freier, viel gesünder und nicht mit so viel Stress verbunden. Im Ernst: Ich würde das, was ich mittlerweile mache und wo ich jetzt bin, für nichts in der Welt tauschen. Ich will nicht zurück, weil ich das, was ich damals durchgemacht habe, nicht noch einmal erleben will, sondern heilfroh bin, dass es vorbei ist, und ich so weitermachen kann, wie ich will. Zumal ich einige der alten Sachen ja immer noch spiele, und auch Tantiemen für viele Guns N´ Roses-Songs erhalte. Sprich: Über meine Zukunft muss ich mir keine Sorgen machen – ich muss sie einfach nur nutzen und genießen. Daran arbeite ich seit Jahren, und dem komme ich immer näher.“
Drama, Baby, Drama
Wobei sich an seiner Einstellung und seinem Verhältnis zu den Gunners, insbesondere zu Axl Rose, in den letzten Jahren nichts geändert habe. Eben, weil es seit 2009/2010 keine Neuerungen, geschweige denn Veränderungen gäbe, weil immer noch kalter Krieg, offene Aversionen und unnötige Grabenkämpfe angesagt seien, und weil daran – wovon er sich sehr enttäuscht zeigt – auch die Aufnahme in die Rock´n´Roll Hall Of Fame vom April 2012, bei der die Originalbesetzung für ihre Erfolge der späten 80er/frühen 90er geehrt wurde – nichts geändert habe. „Das wäre die Gelegenheit gewesen, um endlich in Ruhe zu reden und wieder ein normales Verhältnis aufzubauen. Was ich mir trotz allem Ärger der Vergangenheit sehr wünschen würde. Ich meine, ich habe schon mehrere Versuche in dieser Richtung unternommen, doch Axl hat nicht reagiert. Und nachdem er sich geweigert hat, mir und den anderen in Cleveland gegenüberzutreten, ist das Thema nun endgültig erledigt. Ich werde da keine weiteren Anstrengungen unternehmen und es müsste schon wer weiß was passieren, damit wir wieder an einen Tisch kommen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen – und zu allem anderen habe ich mich in der Vergangenheit schon hinlänglich geäußert.“
Eben zum unrühmlichen Ende einer der erfolgreichsten Rockbands aller Zeiten, die über 150 Millionen Tonträger verkauft, mit drei Studio-Alben Musikgeschichte geschrieben und mit Songs wie ›Welcome To The Jungle‹, ›Sweet Child O´Mine‹, ›Paradise City‹ oder ›Patience‹ das Lebensgefühl einer ganzen Epoche auf den Punkt gebracht hat. Eben ein bisschen Glam, ein bisschen Punk, aber vor allem jede Menge Drama. Der hedonistische Soundtrack zu allem, was der Sunset Boulevard in Punkto Narkotika, Sex, Pferdestärken und Lifestyle zu bieten hat – bis grenzenlose Egos und haltlose Gier für einen üblen Kater und schalen Nachgeschmack sorgten.