Bruce Springsteen ist so präsent wie selten zuvor. Der Grund: seine umwerfende Autobiografie „Born To Run“. Auf der Buchmesse in Frankfurt stellte er sie vor und erzählte dabei von seinen Depressionen und seiner Vorstellung von Erlösung.
Das Vorgeplänkel bei Häppchen und Erfrischungsgetränken ist gerade zu Ende gegangen. Stattdessen jetzt: gespannte Stille, leises Tuscheln. Ein wenig fühlt es sich an, als würde ein Haufen Kinder auf den Nikolaus warten. In Wahrheit sind es gut hundert geladene Pressevertreter – und Edelfan Thees Uhlmann –, die sich an einem Donnerstagabend im schmucklosen Konferenzraum eines Frankfurter Luxushotels eingefunden haben. Dort harren sie der Ankunft von Bruce Springsteen, der im Rahmen der Buchmesse zur Geheimaudienz geladen hat, um seine Memoiren „Born To Run“ vorzustellen. Darin schildert er auf oft brillante Weise seinen unwahrscheinlichen Weg vom Arbeiterjungen aus New Jersey zur Ikone der Rockmusik. Bestseller-Stoff, klar.
Und auf einmal steht sie vor einem auf der Bühne, die Ikone, nur wenige Meter entfernt, der echte Bruce Springsteen. Anthrazitgraues Sakko, dunkle Jeans, schwarzes, großzügig aufgeknöpftes Hemd. Er sieht gut aus, leicht sonnengebräunt und mit Dreitagebart. „Oh, really?“, scherzt er, ganz Showman, mit ausgebreiteten Armen, als die Fotografen im Saal ihr Blitzlichtfeuer eröffnen.
Das Pressegespräch ist auf eine Stunde angesetzt, wird von WDR-Mann Thomas Steinberg geleitet und ist streng durchchoreografiert. Publikumsfragen sind erst ganz am Ende erlaubt. Die Fragen des Moderators sind mal mehr inspiriert, mal weniger.
Ob ›Born In The U.S.A.‹ nicht ein doch sehr guter, aber oft missinterpretierter Song sei, soll Springsteen einmal erklären. Gähn. Auf die Frage, ob er den Sinn des Lebens während der Arbeit an „Born To Run“ entdeckt habe, entgegnet er schlicht: „Nope.“ Zwischendurch rezitiert er Passagen aus seinem Buch, die etwa von seinem ersten Auftritt in Deutschland handeln, vor dem Pete Townshend ihn gewarnt habe, die Deutschen seien das mieseste Publikum der Welt. Oder von seinen Surf-Erfahrungen als Jungspund in New Jersey. Die etwas altmodische Brille, die er jetzt beim Lesen trägt, habe er damals übrigens noch nicht gebraucht.
Die Idee zu seinen Memoiren kam Springsteen 2009, als er mit seiner E Street Band in der Halbzeit des Superbowl spielte, was selbst für einen Superstar wie ihn offenbar noch ein einschneidendes Erlebnis ist. Jedenfalls hielt er seine Eindrücke in einem Essay fest. „Ich habe dabei eine Stimme gefunden, die ich mag“, erinnert er sich. Also schrieb er weiter, hatte er doch gerade ein paar Wochen Zeit. Aus den paar Wochen wurden sieben Jahre, in denen – mit Unterbrechungen freilich – ein in der deutschen Übersetzung fast 700 Seiten langer Text entstanden ist. Eine der großen Herausforderungen habe darin gelegen, „Musik in der Art zu finden, wie die Worte fließen“. Die Gitarre sei als Hilfsmittel ja nun mal nicht zur Verfügung gestanden.
Hilfreich beim Schreiben war sicher, dass Springsteen auch in seinen Liedtexten schon immer Wert auf detailreiches, von Prosa beeinflusstes Erzählen gelegt hat. Man denke nur an ›Racing In The Street‹ oder ›Highway Patrolman‹, meisterhafte Geschichten, die auch ohne Musik funktionieren. Es sei ihm immer darum gegangen, sich die Transzendenz in der Musik zu verdienen, verrät er. Soll heißen: Die Strophen entfalten Situationen, erwecken Figuren zum Leben, reißen Konflikte auf. Bis im Refrain dann alles abhebt und sich dem Hörer die Möglichkeit erschließt, seine eigenen Lebensumstände zu transzendieren.