Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Nun, welch Glück, dass der letzte CLASSIC ROCK-Abend auf dem Tollwood Festival 2015 genau das beschert: das musikalische, historische und emotionale Highlight der Konzerte in der Münchner Musik-Arena. Patti Smith, Grande Dame des CBGBs, kommt zum 40-jährigen Jubiläum ihres wegweisenden Albums HORSES und macht deshalb dessen gesamte Tracklist bis Nummer acht ›Elegie‹ zum ersten Teil ihres Sets. Wie damals, als sie Ende 20 war, steht Patti, jetzt 68 Jahre „alt“ (blanker Hohn), selbstverständlich rotzfrech auf der Bühne und macht mit ihrem ersten Satz unverwechselbar klar, dass dieser Jesus nicht für ihre Sünden gestorben sei – ›Gloria‹. Sie fegt über die Bühne, spuckt und lässt sich keck über ihre ungeplante Pinkelpause aus, die wohl aufgrund der ganz besonderen in München herrschenden Magie dringend nötig geworden ist. Band und Chefin scheinen nichts von ihrer Kraft verloren zu haben. Im Gegenteil: Wenn diese Frau jetzt ihre Songs performt, mit dem Publikum teilt und seelisch wie körperlich auslebt, gewinnen sie nur an Bedeutung. Nach ›Free Money‹ wird die imaginäre Nadel gehoben und das Vinyl auf Seite B gedreht. Zu ›Elegie‹ gedenkt dann die eine lebende Legende ihrer unterwegs verlorenen Gefährten wie Joey Ramone, Joe Strummer, Johnny Thunders und ihres eigenen verstorbenen Ehemanns Fred Smith. Nach HORSES geht es mit ›Privilege (Set Me Free)‹, ›Summer Cannibals‹ und einem Velvet-Underground-Medley aus ›Rock & Roll‹, ›Waiting For The Man‹ und ›White Light/White Heat‹ weiter. Hier und jetzt wird eine Karriere in Zement oder besser eine Mischung aus Edelsteinen und Straßenasphalt gegossen: Patti Smiths Musik, ihre Inhalte und ihre Person sind zeitlos und unvergänglich – ganz im Gegensatz zu allen sechs Saiten ihrer E-Gitarre, die noch zu den letzten Tönen ihrer entbrannten Version von The Whos ›My Generation‹ das Zeitliche segnen.
Paul Schmitz
Roger Hodgson (24.06.)
Roger Hodgson eröffnet den ersten von drei illustren Abenden, die CLASSIC ROCK auf dem diesjährigen Tollwood-Festival in München präsentiert. Klar, die größte Wirkung auf das Publikum – so ergeht es wohl den meisten Künstlern auf eigenständigen Beinen – zeigen noch immer die Hits aus vergangenen Bandtagen, was dem Erlebnis Roger Hodgson live aber keineswegs den Zauber nimmt. Schließlich war er der Komponist, Sänger und Mastermind von Supertramp. Die unvergesslich geschmeidigen Evergreens wie ›Breakfast In America‹, ›Dreamer‹ und ›The Logical Song‹, die der milde Superstar genau so entspannt und mit perfekt gläserner Stimme auf die Bühne bringt, wie man sie im allgemeinen Gehörgedächtnis trägt, passen perfekt zu diesem Wohlfühlabend. Nicht lange braucht Hodgson, um die Sorgen seiner Fans (wie in einer seiner anfänglichen Ansagen gewünscht) verfliegen zu lassen. Und auch der vielgereiste Musiker scheint hier bei seinem dritten Besuch eine gewisse Heimkehr zu feiern, weshalb der Opener ›Take The Long Way Home‹ umso passender wirkt. Nach stolzen Nummern, während derer die Notwendigkeit der Zeltbestuhlung mehr als in Frage gestellt wurde, ist es dann Zeit für ein Zugaben-Set, bestehend aus ›Two Of Us‹, dem obligatorischen ›Give A Little Bit‹ und dem leider ebenfalls passenden ›It’s Raining Again‹, das dann aber auch den letzten regnerischen CLASSIC ROCK-Abend auf dem Tollwood beendet.
Paul Schmitz
Status Quo, Uriah Heep (29.06.)
Pünktlich um 19:00 Uhr legen Uriah Heep mit einem kurzweiligen Best-Of-Programm los. Da die Classic Rocker als Special Guest fungieren, „müssen“ Mick Box & Co. möglichst viele Hits in ihren 45-minütigen Auftritt packen, was sie mit ›Easy Livin’‹, ›Stealin’‹, ›Gypsy‹ und natürlich ›Lady In Black‹ im schwülen Musik-Arena-Zelt auch tun. Nach kurzer Umbaupause sorgen Status Quo mit einer souveränen, aber auch stellenweise ziemlich abgebrühten Performance für noch mehr Dunst und Durst. Im Lauf der knapp eineinhalb Stunden wird dann doch klar, woher der „Vorwurf“ mit den ewigen drei Akkorden stammt. Klassiker wie ›What You’re Proposing‹, ›Down The Dustpipe‹ und ›Again And Again‹ gehen teilweise nahtlos ineinander über bzw. werden als Medley präsentiert, und man weiß manchmal schon gar nicht mehr, wo vorne und hinten und wo oben und unten ist. Die dezente Lautstärke macht es auch nicht gerade leichter, sich zu orientieren, aber spätestens bei ›In The Army Now‹ weiß man wieder, wo man ist. Ansagen sind ebenso spärlich gesät wie Tempo- und Gitarrenwechsel, aber das traditionell motivierte Tollwood-Publikum geht gut mit und hüpft spätestens bei ›Rockin‘ All Over The World‹, der letzten Nummer vor den Zugaben, trotz Kollapsgefahr begeistert auf und ab. Nach den finalen Chuck-Berry-Covern ›Rock And Roll Music‹ und ›Bye Bye Johnny‹ gehen alle zufrieden und dankbar an die frische Luft, aber ein bisschen mehr Seele und dafür etwas weniger Souveränität seitens der Band hätten nicht geschadet.
Martin Buchenberger