Fünf Jahre Zeit ließ sich die schwedische Prog Rock-Gruppe für ihr neues Album BANKS OF EDEN. Fünf Jahre, in denen diese Musikrichtung ein Comeback erlebte. CLASSIC ROCK sprach mit Bandkopf Roine Stolt über die neue Ausgangssituation.
Text: Matthias Mineur
Es muss schon einiges zusammenkommen, bevor Roine Stolt auf die Bremse tritt. Normalerweise kennt der schwedische Gitarrist und Sänger nur eine Richtung: vorwärts ahoi! Und zwar ohne jedwede künstlerische Pause. Mit seiner Band The Flower Kings hat er seit Mitte der Neunziger weit mehr als ein Dutzend Studioalben, Live-Scheiben und DVDs veröffentlicht, oftmals überlange Werke, die sich nicht selten über gleich zwei randvolle CDs erstreckten. Außerdem gehört Stolt zur Prog Rock-Supergroup Transatlantic und ist ständig in weitere Projekte involviert. Doch nach dem letzten Flower Kings-Werk THE SUM OF NO EVIL (2007) verordnete er sich und seiner Gruppe eine Pause: „Auf der Tour merkte ich, wie sich die Band veränderte, und zwar negativ“, gesteht er rückblickend. „Die Motivation stimmte nicht mehr. Ich war zwar immer noch der Kapitän, der dieses Schiff anführt, aber die Matrosen absolvierten nur noch Dienst nach Vorschrift. Eine gewisse Teilnahmslosigkeit machte sich breit, und das gefiel mir nicht.“
Stolt ist ein erfahrener Musiker und hat mit seinen 55 Jahren schon vieles erlebt. Er kann einschätzen, ob etwas Grundsätzliches im Argen liegt oder ob die Crew einfach nur mal Landurlaub braucht, um Batterien aufzutanken und wieder Lust auf Seeluft zu bekommen. „Bei den Beatles, bei Genesis oder Yes war das nicht anders, auch sie hatten Phasen, in denen die Kreativität lahmte, in denen Bandmitglieder ausgetauscht werden mussten oder man besser mal einen Gang zurückschaltet.“ Dass The Flower Kings an ein endgültiges Aus gekommen seien, dieses Gefühl hatte Stolt indes nie: „Es ist nach wie vor so, wie ich schon vor zehn Jahren gesagt habe: Die Flower Kings sind mein wichtigstes Medium und werden sicherlich bis zu meinem Tod existieren.“ Es liegen also wohl noch viele weitere Veröffentlichungen vor der schwedischen Gruppe. Zunächst aber gilt es BANKS OF EDEN zu feiern, die neueste Scheibe, mit der The Flower Kings ihre von Stolt verordnete fünfjährige Pause beenden. „Im letzten Jahr rief mich unser Bassist Jonas Reingold an und fragte, wie denn meine Haltung zu einem neuen Album sei“, erzählt Stolt. „Ich merkte, dass mir die Pause gut getan hatte und ich wieder Kribbeln in den Fingern bekam, als Jonas von einem neuen Album sprach. Ein gutes Zeichen, wie ich fand, also machten wir uns wieder an die Arbeit.“
Gut ein Jahr dauerten die Vorbereitungen auf BANKS OF EDEN. Stolt kramte alte Ideen hervor, überprüfte sie auf Tauglichkeit und schrieb gleichzeitig neues Material. „›Numbers‹ ist beispielsweise erst unmittelbar vor den Studioaufnahmen entstanden, zeigt aber sofort wieder die gesamte Artenvielfalt dieser Band.“ Kein Wunder, die Nummer erstreckt sich über 25 Minuten Spielzeit – nicht ungewöhnlich für diese Band – und navigiert den farbenfrohen Prog Rock der Gruppe durch unterschiedlichste Passagen.
Derartige Werke galten bis vor wenigen Jahren noch als archaische Kunst, die eher mit den Siebzigern verbandelt ist statt eine zeitgemäße Strömung darzustellen. Doch anno 2012 ist plötzlich alles wieder anders: Diese Art der opulenten Rockmusik erlebt zurzeit ein Comeback und könnte auch den Flower Kings zu unerwarteter Popularität verhelfen. „Es ist schon ein wenig verrückt: Da gibt es mit Felix Lehrmann seit einigen Monaten einen neuen Drummer bei den Flower Kings, der mehr als 20 Jahre jünger als ich ist, und kaum gehört er zur Band, schon klingen wir plötzlich zeitgemäß. Felix muss ja fast glauben, dass er Wasser in Wein verwandeln kann.“