Ihm fehlt es an nichts — und trotzdem spielt er auf seinem ersten Album LET THEM TALK den Blues. Warum? Weil „Dr. House“-Gesicht Hugh Laurie diese Musik liebt.
Bruce Willis und Keanu Reeves haben es getan, Jared Leto und Jan Josef Liefers tun es gerade, und Kevin Costner ebenfalls: All diese Schau-spieler versuchen beziehungsweise haben sich mit unterschiedlichem Können, Ernst und Erfolg als Musiker versucht. In diese sicherlich reichlich unvollständige Liste reiht sich nun „Dr. House” ein. Hugh Laurie, der Darsteller des humpelnden und gerne mal über die Maßen zynischen Diagnostik-Spezialisten, hat jüngst mit LET THEM TALK ein Album veröffentlicht, auf dem der Brite 15 Klassiker des New Orleans Blues neu in-terpretiert. „Durchaus gewagt”, lautet das landläufig gefällte Urteil, dessen sich Laurie durchaus bewusst ist: „Als man bei mir nachfragte, ob ich eine Platte aufnehmen möchte, habe ich zuerst abgesagt.”
Zwar hat der Brite zum ersten Mal mit acht Jahren Klavierunterricht bekommen und setzt sich heutzutage je- de freie Minute ans Piano, aber so gut, dass es für eine Studioaufnahme reichen würde, ist er wohl gar nicht. Sagt er zumindest (ganz bescheiden) selbst: „Ich habe nur aus dem Grund zugesagt, da ich diese Musik verehre.”
Diese Musik – das sind auf LET THEM TALK unter anderem Stücke von Louis Armstrong, Lead Belly, Memphis Slim, Snooks Eaglin, Sister Rosetta Tharp, Ray Charles und Dr. John. Als Kind und Jugendlicher verleibte er sich zudem das Werk von Gitarristen à la Lightnin’ Hopkins, Bo Diddley und Muddy Waters ein sowie von Pianisten wie Jelly Roll Morton, Allen Toussaint und Pinetop Perkins. Mit seiner Vorliebe für den New Orleans Blues manövrierte sich Laurie allerdings ins Abseits, denn seine Bekannten standen eher auf Rock-Hausmannskost und Musiker wie David Bowie: „Ich war sehr einsam als Jugendlicher und hatte nicht viele Freunde, mit denen ich über den Blues reden konnte. Was Musik an-geht, war ich ein seltsamer Einzelgänger.” Der 51-Jährige begibt sich mit seinem ersten Studioalbum also keineswegs aufs Glatteis, sondern bleibt sich selbst treu und macht nur das, was er sowieso die ganze Zeit macht – nur eben nicht mehr privat, sondern öffentlich.
Zur Seite stand Laurie bei seinem Projekt der erfahrene Blues-Produzent Joe Henry und Studiomusiker wie Jay Bellerose (Drums) und Greg Leisz (Gitarre, Dobro, Mandoline). Die Albumaufnahmen waren für den in Oxford geborenen Hobbytastendrücker auch das erste Mal, das Zusammenspiel mit einer Band zu er-leben und zu gestalten. Bislang hatte Laurie noch nie in einer Blues-Combo gespielt: „Ich hätte es liebend gerne gemacht, aber leider ist mir diese Erfahrung verwehrt geblieben.”
Wenngleich ein derartiges Engagement wahrscheinlich auch ungewollte Konsequenzen, nämlich Live-Auftritte vor anderen Menschen, mit sich gebracht hätte, denen der seit 1981 tätige Charaktermime lieber vorsorglich aus dem Weg ging: „Ich hatte nie das nötige Selbstvertrauen, um vor Publikum Klavier zu spielen oder gar zu singen. Um diese Fähigkeit in mir zu entdecken, musste ich warten, bis ich 50 Jahre alt war.”
Nun, da sich Laurie dazu durchgerungen hat, genießt er das Musikerleben allerdings sehr. Viel mehr als die Schauspielerei übrigens. Denn nun kann er endlich beruflich im Blues aufgehen: „Die Klänge, die Gefühle und die Geschichten auf dem Album bedeuten mir etwas. Mit der Musik verbindet mich mehr als mit den Rollen, die ich spiele. Ich liebe House, keine Frage, aber ich bin nicht er. Auf dem Album hingegen findet man ein Stück von mir.”
Lothar Gerber