Nicht viele Bands, die sich in den 90er Jahren gegründet haben, um die Fahne des Rock’n’Roll nach der übermächtigen Grunge-Explosion weiter hochzuhalten, schaffen es bis zu ihrem zehnten Album. Auch bei Buckcherry sah es zwischenzeitlich so aus, als würden sie an den Drogen, den Umständen, den Querelen zerbrechen, doch Frontmann und tätowiertes Aushängeschild Josh Todd hat irgendwie immer einen Weg gefunden, seine Formation am Leben zu halten. In den letzten Jahren surft die Truppe aus L.A., aktuell komplettiert von Stevie D (Gitarre), Billy Rowe (Gitarre), Kelly LeMieux (Bass) and Francis Ruiz (Drums), auf einer grandiosen Welle: ihr letztes Album HELLBOUND (2021) erwies sich als ein großartiges Stück Rock’n’Roll und auch auf ihrem brandneuen VOL. 10 läuft die Band zur Höchstform auf. Im Zoom-Interview erklärt Josh Todd alles Wichtige zur neuen Platte.
Fühlten sich die Arbeiten an deiner zehnten Buckcherry-Platte anders an als sonst?
Das war schon sehr besonders, nicht alle Bands schaffen es, zehn Platten zu veröffentlichen. Wir haben hart gearbeitet und viel Spaß gehabt. Ich finde, das merkt man auch. Natürlich muss man auch sagen, dass die Voraussetzungen ganz anders waren als bei HELLBOUND. An letzterem arbeiteten wir zu Beginn der Pandemie, als die Hölle losbrach. Deswegen ist VOL. 10 wohl auch etwas erbaulicher geraten als sein Vorgänger.
Wie kam VOL. 10 also genau zustande?
Wir hatten viele Ideen von den HELLBOUND-Sessions übrig, außerdem sammelten Stevie und ich zwischen den Touren viele Songs an. Dann flogen wir zu unserem Produzenten Marti [Frederiksen] nach Nashville – dort sind in neun Tagen neun Songs entstanden. Ein echter Marathon! Acht der zehn neuen Tracks aus diesen Sessions sind auf der Platte gelandet, zwei stammen aus HELLBOUND-Zeiten: ›This Or That‹ und ›Turn It On‹.
Das ist ja ein irrer Output, wie können wir uns den Workflow vorstellen?
Ich hatte Marti von Anfang an gesagt, dass ich die neue Platte in zwei Wochen fertigstellen will. Er meinte nur: ‚Das können wir nicht machen‘. Und ich nur: ‚Doch, klar können wir.‘ (lacht) Also haben wir’s durchgezogen. Ich sang vormittags, danach arbeiteten Stevie und Marti an den Arrangements, die sie mir am frühen Abend schickten. Über Nacht schrieb ich die Texte und sang am nächsten Vormittag wieder ein. So lief das neun Tage lang.
Klingt intensiv, man ist ziemlich „in the zone“, oder?
Wenn ich an einer Platte arbeite, will ich nicht mehr aufhören, bevor sie fertig ist. Wenn die Türe einmal offen ist, kann ich in einem irren Modus arbeiten. Wir sind Songwriter, Marti kann das auch. Er tut nichts anderes als Schreiben und Produzieren. Wenn wir zusammenkommen, sind wir auf einem ganz hohen Level, ständig auf Abruf und in Alarmbereitschaft. Ich sauge alles auf, lerne immer noch sehr viel und gebe mein Bestes.
Löst so ein zehntes Album eine gewisse Nostalgie aus?
Nein, nicht wirklich. Klar haben wir gewisse Muster, zu denen wir immer mal wieder zurückkehren, so funktionieren wir einfach. Ich bin beispielsweise ein riesiger Fan von Def Leppards HYSTERIA…
Ich wollte gerade fragen, ob ihr mit ›Feels Like Love‹ euer eigenes ›Hysteria‹ geschaffen habt!
(lacht) Volltreffer, ja haben wir! Genau das wollte ich, genau das haben Marti und Stevie geliefert. Ich hatte bereits eine Melodie und einen Text, doch Marti brachte einen anderen Vorschlag, der eindeutig besser war, also orientierte ich mich daran. Dieser Song ist vor allem live richtig großartig.
Ich dachte schon, du killst mich, wenn ich sage „das klingt total nach ›Hysteria‹.
Nein, so arbeiten wir nun mal. Wir lassen uns von anderen Bands inspirieren, um einen Funken loszutreten, um eine Idee zu zünden. Damals bei HELLBOUND schickten sie mir all diese verschiedenen Tracks und ich meinte nur: ‚Wo zur Hölle ist mein AC/DC-Song?‘ (lacht) Und dann kamen sie mit ›Hellbound‹ um die Ecke!
Obwohl ihr Party-Rock’n’Roll zelebriert, streut ihr auch immer Tiefgründigkeit mit ein. Wie den neuen Song ›Pain‹. Ist Schmerz ein konstanter Begleiter in deinem Leben?
Ja, ist er, auch wenn ich hier sitzen und nett mit dir plaudern kann. Unterm Strich gehen viele Dinge in mir vor und dieser Song ist sehr persönlich. ›Pain‹ entstand, weil ich Martis Piano sah und sagte: ‚Schreib mir den traurigsten Klavier-Song, den man sich vorstellen kann.‘ Und er schickte am vorletzten Tag ganz nebenbei zwei kurze Piano-Parts, etwas ganz anderes, als jetzt auf der Platte ist. Dann entstand der Text recht spontan. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade an einem dunklen Ort, ohne ins Detail gehen zu wollen. In meinem Leben sind Dinge passiert, über die ich nicht spreche. Wir hatten einen kleinen Streit im Studio, der vieles wieder hochbrachte und ich war schlecht gelaunt. Die Lyrics für ›Pain‹ entstanden eben am vorletzten Tag, und weil ich gerade echten Schmerz empfand, schrieb sich der Text wie von selbst. Ich trug ihn den anderen am nächsten Tag im Studio vor, sang den Chorus jedoch im Falsett und Marti und mir war schnell klar, dass es so nicht passte. Also versuchte ich es nochmal in meiner normalen Tonlage und wir waren von den Socken! Über Nacht hatte er den Song dann komplett fertiggestellt. Er meinte nur: ‚das ist jetzt wie Buckcherrys ›November Rain‹.‘ Ursprünglich wollte ich nur einen kleinen Piano-Gesangs-Hidden-Track machen, daraus ist so viel mehr geworden.
Du hast ja schon gesagt: Nicht viele Bands machen es so lange wie Buckcherry. Tipps und Ratschläge?
Es ist super schwer, das Original-Line-Up zusammenzuhalten. Der Schlüssel zum Erfolg ist, die Banddynamik angenehm zu gestalten, damit man den Rest – das Touren, die Beziehungen zum Management, zum Label etc. – besser aushält. Es klingt fies, aber man muss sich von Leuten trennen, die toxisch fürs Team werden. Egal, wie man es dreht und wendet: Sobald du Erfolg hast, wird eine Band zum Business. Und so muss man es mit jedem Business machen, weil ein giftiger Samen das ganze Gebilde verpesten kann. Immer, wenn wir uns aus Gründen von Mitgliedern verabschiedet haben, erreichte Buckcherry ein neues Niveau. Für mich war das eine gute Lektion. Natürlich ist das nicht so, wie man sich das Bandleben am Anfang vorstellt. Aber 24 Jahre nach unserem Debüt weiß ich einfach, wie hart der Weg sein kann – Scheiße wie Pandemien, das sterbende Rock-Genre, die sinkenden Plattenverkäufe halten dich auf Trab. Da muss man es sich nicht auch noch schwer machen mit Bandmitgliedern, mit denen man nicht mehr gut auskommt.