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Def Leppard: Diamantstatus

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Def Leppard: Diamantstatus

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Auf ihrer späten Erfolgswelle weitersurfend hatten Def Leppard die Pandemiejahre genutzt, um ihr zwölftes Studioalbum DIAMOND STAR HALOS zu fabrizieren. Ein absolut starkes Werk, das die verschiedenen Facetten von Def Leppard miteinander vereint und mit Gastbeiträgen von Stars wie Alison Krauss oder Pianist Mike Garson garniert zahlreiche Stilrichtungen mischt, am Ende jedoch trotzdem unnachahmlich nach den großartigen Def Leppard der 80er Jahre klingt und für romantische Herzen auch so manche Mega-Ballade bereithält. Im Edelhotel „The Savoy“ in Central London trifft man die Herren Joe Elliott und Rick Savage Ende Februar an einem verregneten Tag, um persönlich über ihren jüngsten Streich zu sprechen. Darüber, warum man auf DIAMOND STAR HALOS ganz freimütig die 70er Jahre zitiert, wieso dieses Album mit Fleetwood Macs RUMOURS vergleichbar ist und warum sich die Mitglieder von Def Leppard, anders als in vielen Ehen, auch nach über 45 gemeinsamen Jahren noch nicht auf den Senkel gehen.

Viele Fans und auch Pressevertreter haben befunden, dass DEF LEPPARD von 2015 eure beste Platte seit langem war. Wie geht man denn an den Nachfolger von so etwas heran, setzt einen das unter Druck?

Joe: Ach nein, inzwischen gar nicht mehr. Dass wir bei DEF LEPPARD überhaupt keinen Druck verspürten, lag daran, dass wir nicht einmal kapierten, dass wir gerade ein Album machten.

Rick: Wir nahmen einfach nur ein paar Songs auf und das weitete sich dann immer mehr aus. Plötzlich fiel uns auf, dass wir schon ein dreiviertel Album beisammen hatten, es war also nur logisch, das letzte Viertel auch noch zu bestreiten.

Joe: Das war das allererste Mal, dass wir ein Album aufnahmen, ohne dass wir mussten, weil wir damals gerade keinen Plattenvertrag hatten, der mit Universal war 2008 ausgelaufen. Alles was wir seitdem herausgebracht hatten, war ein Live-Album auf unserem eigenen Label und die Vegas-DVD. Ich glaube Phil meinte dann, dass wir mal zwei, drei Songs aufnehmen sollten. Viele Leute brachten damals eine Single pro Monat raus aufgrund der veränderten Situation durch das Internet. Vielleicht war das ja einfach der neue Weg, wir wollten das ausprobieren. Also gingen wir ins Studio, um drei Tracks aufzunehmen. Dann kamen wir immer wieder zusammen, ständig kam einer von uns mit einer neuen Idee an. Da lernten wir erst so richtig, einander voll zu vertrauen und mutig genug zu sein, die eigenen Songs der ganzen Band vorzustellen. Denn eigentlich schreiben wir unsere Lieder ja zu fünft im Kollektiv, wenn also jemand mit einer eigenen Nummer daherkommt, dann sollte diese auch verdammt nochmal gut sein. (lacht) So wurden aus drei Songs also am Ende zwölf, die Basictracks dafür waren nach einem Monat im Kasten. Erst nach zwölf Wochen kamen wir wieder zusammen – ohne Viv, der wurde damals gerade behandelt [wegen seines Krebsleidens. Anm. d. Red.] – und zwei weitere Tracks entstanden. Wir hatten also zufällig und ohne Planung 14 Songs geschrieben. Es gab absolut keinen Zeitdruck, kein Label, nichts.

Rick: Im Grunde war DEF LEPPARD nur zu unserem eigenen Vergnügen. Wir genossen es sehr, wieder zusammen zu sein und Neues zu erschaffen.

Joe: So kamen Songs zustande, die ohne dieses Setting vielleicht niemals passiert wären. ›Man Enough‹ beispielsweise ist einer meiner Lieblingssongs überhaupt. Phil kam damals mit einem Bassriff an, das ein bisschen nach Queen klang. Zehn Jahre zuvor hätten wir gesagt ‚Ne, das können wir nicht machen‘, damals hingegen meinten wir nur: ‚Das klingt vielleicht ein bisschen nach ›Another One Bites The Dust‹, na und? Big fucking deal!‘ (lacht)

Rick: Wobei man ehrlich sagen muss, dass es das gar nicht tut. Das ist nur die erste Sorge, die einen umtreibt, wenn man einen neuen Einfall hat. Irgendwann haben wir unsere Ideen ehrlich überanalysiert, um auszuschließen, dass man das vorher schon einmal irgendwo gehört hat.

Joe: Diese selbst angelegten Fesseln zu verlieren war so eine Freude. Nachdem wir fertig waren, meinte ich nur zu den anderen: ‚Ich weiß nicht, ob wir noch einmal in die Situation kommen werden, dass wir versehentlich ein Album machen.‘ Das ist also abgeschlossen, so etwas passiert dir keine zweimal im Leben, weil man einen Zufall eben nicht planen kann. Doch was kommt dann um die Ecke? Covid! Und versetzt uns in diese einzigartige Lage, die der Situation bei DEF LEPPARD gar nicht so unähnlich war, aber doch komplett anders. Vorher waren wir zusammen, machten unterbewusst eine Platte, jetzt konnten wir uns nicht treffen, machten jedoch bewusst ein neues Album. Als wir uns alle in meinem Studio in Dublin treffen wollten, wurde die ganze Welt dicht gemacht. Also stiegen wir auf Konferenzanrufe um, wir zoomten nicht einmal. In den ganzen zwei Pandemiejahren sahen wir uns kein einziges Mal, wir sprachen am Telefon miteinander und schrieben echt viele Emails. Und entschlossen uns dazu, trotz allem eine Platte aufzunehmen. In der Vergangenheit haben wir ab und zu mal so gearbeitet, zumindest in kleinen Teilen. Weil es nach der Zeit im Studio immer mal sein kann, dass man noch etwas am Solo ändern möchte oder irgendwo eine Harmonie fehlt. Das digitale Arbeiten war also kein komplettes Neuland für uns, jeder hat ja sein eigenes Studio zuhause. Man schickt die MP3 herum, importiert sie in Pro Tools und fertig. Wie ein Puzzle, dessen Teile man zusammensetzt. Das ist kein Hexenwerk. Und so haben wir das mit DIAMOND STAR HALOS eben gemacht. Ich sage dir: das war so eine befreiende Erfahrung, alles von Anfang an, von Grund auf neu so aufzunehmen. Das sprengte alle Fesseln. Ich denke, wir haben gelernt, uns noch mehr zu vertrauen, weil wir uns unfertige Ideen zuspielten und ganz offen miteinander umgingen. Wir hatten ja alle Zeit der Welt, keinen Deal, kein Abgabedatum, alle waren zuhause und konnten arbeiten wann immer sie wollten. Wir konnten längere Zeit über Ideen brüten, einfach mal eine Nacht darüber schlafen und es am nächsten Tag nochmal versuchen. Eventuell kam der Heureka-Moment auch erst nach ein paar Wochen und das war trotzdem völlig in Ordnung. Dann füllte man den fehlenden Teil in die Lücke, schickte das Demo an alle und wartete auf Feedback. Wichtig in diesem Workflow war Ronan, der Toningenieur unseres Co-Produzenten, er war so etwas wie das Zentrum, an dem all die Ideen zusammenflossen. Wir alle konnten daheim aufnehmen, der eine mit Garage-Band, der andere mit Pro Tools – ich habe ja ein richtiges Studio zuhause, habe aber eigentlich, zumindest bei den Demos, nur mit meinem Computer gearbeitet. Einige von den Demos haben sogar überlebt und wurden in die Songs eingebastelt. Meine Vocals auf ›This Guitar‹ beispielsweise sind einfach nur mithilfe eines Mikrofons und meines Laptops eingesungen. Wir schickten diese Bruchstücke zu Ronan, der dann dafür ein neues Projekt bei ProTools für jeden Song einrichtete und alles zusammenführte. Das ging mit einer Anwendung namens „Bounce Boss“. Wenn das Lied zusammengeschnitten war, bekamen wir alle zur selben Zeit eine Email, konnten alles anhören und unsere Kommentare anfügen. So kommunizierten wir. Und zur selben Zeit konnte jedoch jeder in seinem eigenen Tempo arbeiten und sich alles gut einteilen. Savs Akustikspiel auf ›This Guitar‹ zum Beispiel…

Rick: Ach, das war so ein schwieriger Teil für mich zum Einspielen. Ursprünglich war da kein 12-Saiter vorgesehen, aber ich dachte mir, das würde gut dazu passen. Das auf meiner alten Klampfe daheim umzusetzen, war nicht leicht. Wäre ich in einer Studio-Umgebung gewesen und die anderen hätten nach einer Stunde ihre Köpfe zur Tür reingesteckt und gemerkt, dass ich immer noch nichts Brauchbares aufgenommen hatte, wäre mir das unangenehm gewesen. Da ich das jedoch alleine für mich machen konnte, hat es funktioniert. Auch wenn der Prozess länger dauerte, klappte es am Schluss. Darin liegt die Schönheit dieser Art und Weise, eine Platte zu machen.

Joe: Seit HIGH ‚N ‚DRY haben wir eh schon nicht mehr wirklich alle gemeinsam, traditionell im selben Raum, aufgenommen. Das haben wir eigentlich nur bei ON THROUGH THE NIGHT und SLANG gemacht. Bei den anderen nahmen wir getrennt auf, auch wenn wir alle zur selben Zeit im selben Studio waren. Sind wir doch mal ehrlich: Sonst läuft das so, wenn einer gerade dran ist, hängen die andern halt höflichkeitshalber herum. Wenn es einen Pinball-Automaten gibt, hängen alle dort ab. Es war also alles gleich, nur dass wir nicht im Raum nebenan, sondern im Land nebenan saßen. (lacht) Wir sind uns einig, dass wir wohl keine Platte mehr auf die traditionelle Art gestalten wollen. Weil der Vibe so viel besser ist. Künstlerisch befreiend, die Songs profitierten davon, unsere Kommunikation war so viel offener. Viele Lieder auf DIAMOND STAR HALOS wären vor zehn Jahren nicht durchgekommen, da bin ich mir sicher. Einfach, weil sie irgendwie für unsere Verhältnisse seltsam klingen. Da ist mal ein Piano dabei, Orchestrierung, dann wieder ein Country-Einschlag. Aber hey, wir sind älter geworden, wir blicken mehr über den Tellerrand, wir wollen nicht mehr ständig nur dasselbe machen, nach dem Motto, kommt, das wird eine NWoBHM-Platte. Da sind wir darüber hinausgewachsen und so soll es doch bei einer Band auch laufen. Ich verstehe, dass AC/DC so etwas nie behaupten oder tun werden. Ich habe letztens erst lustiges Meme über Angus Young gesehen. Darauf stand: ‚Ich habe die Schnauze voll davon, dass die Leute behaupten, wir hätten 10 Alben gemacht, die alle gleich klingen. Es sind 12!“ (lacht) Wir sind halt eher wie Queen. QUEEN I und QUEEN II sind unterschiedlich, aber doch ähnlich. SHEER HEART ATTACK war dann ein Quantensprung und ab da ist jedes Album ein Quantensprung, egal ob nach unten oder oben. Sie waren nie mehr dieselbe Band ab 1975. Und das wollen wir etablieren.

Rick: Es bringt doch nichts, ein zweites HYSTERIA machen zu wollen. Das ist so lange her, wir waren so viel jünger und hatten ganz andere Einflüsse.

Joe: Die letzten zwei Alben sind die ersten, wo wir HYSTERIA absolut nicht als Referenz im Kopf hatten. In dem Sinne, dass wir uns dachten: ‚Oh, das sollte weniger oder mehr nach HYSTERIA klingen.‘ (lacht) Gut, ein Song auf dem Album namens ›All We Need‹ klingt ein wenig nach HYSTERIA, das war aber ein Versehen bzw. Zufall. Durchaus ein hysterischer Song. (lacht) Aber deswegen haben wir ihn nicht gestrichen.

Naja, HYSTERIA ist ja immer noch euer eigenes Album.

Joe: Eben, wir haben HYSTERIA verdammt noch eins geschrieben, wir dürfen nach HYSTERIA klingen. Wenn Angus zwölf Platten machen kann, die ähnlich klingen, können wir uns das auch rausnehmen. (lacht) In Savs Überballade ›From Here To Eternity‹ hört man eine Verzweigung, die sich auf das WHITE ALBUM der Beatles zurückführen lässt. Das Klimpern erinnert ein wenig an ›I Want You (She’s So Heavy)‹, aber es wurde durch Queen gefiltert und ist nun zu Def Leppard geworden. Mein Gesang auf ›Angels‹ und ›Goodbye For Good This Time‹ lässt die Songs nicht nach Bowie klingen, aber es gibt ihnen diesen breiten, klassischen 70er-Jahre-Anstrich. Lieder von damals sind heute über 50 Jahre alt, aber sie hatten so einen einzigartigen Sound, dass sie bis heute im Radio gespielt werden. Und das hat einen Grund. Sie sind einfach gut. Ohne jetzt anmaßend klingen zu wollen: Als wir immer weiter voranschritten mit dieser Platte, meinten wir nur: ‚Das klingt irgendwie so, wie HOTEL CALIFORNIA für die Eagles klang. Oder RUMOURS für Fleetwood Mac.‘ Das waren Platten, die diese Bands auf ein neues Niveau gehoben haben. Und das hat uns total glücklich gemacht.

Trotz der verschiedenen Einflüsse klingt DIAMOND STAR HALOS eindeutig und unverwechselbar nach Def Leppard und ist eine tolle, gut gelaunte Rockplatte. Habt ihr euch aufgrund der aktuellen Umstände auf der Welt mal den Bruchteil einer Sekunde seltsam dabei gefühlt, so ein freudestrahlendes Werk zu entsenden?

Rick: So etwas fällt einem erst auf, wenn man Interviews macht, weil man dann danach gefragt wird. In der Zeit, in der du etwas erschaffst, bist du in dieser Blase aus Energie und Kreativität, du denkst an nichts anderes. Du versuchst, das Beste aus dir und den Songs herauszuhören. Wir haben noch nie einen Song gemacht, von dem wir dachten: ‚Naja, der ist schon halbwegs okay, den packen wir irgendwo ans Ende des Albums, da fällt er nicht auf.‘ So sind wir nicht, wir machen uns über jeden Teil eines Liedes viele Gedanken und feilen das Beste heraus.

Joe: Wenn du dir die Musikhistorie anschaust, ist ja immer irgendetwas Schlimmes geschehen. Man könnte diese Frage also jedem Künstler stellen und hört wahrscheinlich dieselbe Antwort: Diese zwei Gegebenheiten haben nicht viel miteinander zu tun. Man kann natürlich Kommentare ins Songwriting einbauen, das ist eh klar, aber wir wollten, dass dieses Album nichts mit der Pandemie zu tun hat. Ich bin bis heute davon überzeugt, dass ein Wort wie „Lockdown“ nichts darin verloren hat. Denn dann hört man sich die Platte im Jahr 2027 an, wenn Corona hoffentlich vorbei ist, und das Album hat sofort einen Zeitstempel.

Ihr seid da eher so im Team „zeitloser Klassiker“?

Joe: Ganz genau. Ich meine, vor einer Woche hätten wir noch nicht gedacht, dass ein Krieg beginnen würde. Jetzt herrscht Krieg und wir können nichts daran ändern. Diese Songs sind seit langem im Kasten, man kann ja gar nicht up to date bleiben, so schnell wie sich alles verändert. Wir sind einfach nur froh, dass wir überhaupt einen Veröffentlichungstermin gefunden haben, weil durch die Pandemie alles blockiert war. Jetzt dürfen schon wieder Großveranstaltungen stattfinden, als wäre nie etwas passiert. Hoffen wir, dass es so bleibt und dass das gut geht. Aber gehen wir doch mal ins Jahr 1967 zurück. CCR haben angefangen, Platten zu machen. Es gibt in ihrem Backkatalog keinen einzigen Song, der Vietnam kommentiert. Trotzdem waren sie in dieser Zeit eine der beliebtesten Bands überhaupt. Ja, es herrschte Krieg, das hat John Fogerty jedoch nicht davon abgehalten, grandiose Stücke zu schreiben. Und jedes Mal wenn man einen Film über Vietnam sieht, läuft ein Song von CCR oder ›Sympathy For The Devil‹ von den Rolling Stones. Das gehört irgendwie zusammen, weil diese Lieder damals eben sehr beliebt waren, nicht weil es in den Texten darum ging. Das ist nicht seltsam, das ist einfach so. Dieser Krieg wird von einem Irren geführt, Unschuldige sterben, das ist schrecklich. Aber dagegen kann doch eine Band nichts machen.

Ich meinte auch nicht, dass Musiker Initiative ergreifen müssen, ich wollte mich nur nach eurer Gefühlslage erkundigen.

Joe: Vielleicht wenn jeder einzelne Künstler auf diesem Planeten einen Gig spielen würde, um Geld für die Ukraine zu sammeln, dann wäre das ein Punkt, mit dem man etwas verändern könnte. Das wäre dann wie bei Live Aid, vor allem ein großes Publicity-Ding, das Geld würde irgendwohin laufen und helfen würde es am Ende wahrscheinlich doch nichts. Du musst also einfach dein Ding durchziehen und hoffen, dass es die Menschen glücklich macht. Vergiss nicht: Kennedy wurde ermordet, das ganze Land befand sich in Trauer. Vier Monate später spielten die Beatles am JFK-Flughafen, um die Leute aufzumuntern. Boom! Wahrscheinlich wären die Beatles ohne diese Sache niemals so groß geworden. Ich meine, ich war nicht dabei, ich war drei Jahre alt, aber all die Kommentare in historischen Dokumentationen sind sich einig, dass die Beatles Amerika wieder Leben eingehaucht haben. Als wir jünger waren, sind uns solche Dinge nicht aufgefallen, weil uns Politik egal war. Aber wenn wir heute zurückblicken, sehen wir, dass wir inmitten der Rezession Platten veröffentlicht haben. PYROMANIA, HYSTERIA, ADRENALIZE – alles mitten in der Rezession. Und trotzdem unsere bestverkauften Platten, weil die Menschen Ablenkung brauchen.

Rick: PYROMANIA entstand sogar während der Falklandkriege.

Ihr seid also nach wie vor für den Eskapismus zuständig?

Joe: Ja, wir sind absolut eine Band des Eskapismus. Das andere überlassen wir Dylan und Springsteen.

Joe: Am Ende des Tages sind wir Entertainer, das ist unsere Aufgabe. Wir wollen den Menschen einen Raum eröffnen, in dem sie von ihren alltäglichen Sorgen Abstand nehmen können. Schon mal bemerkt, wie lächerlich es ist, wenn ein Politiker Saxophon spielt? Andersrum ist es genauso. (lacht)

DIAMOND STAR HALOS ist von einer Bolan-Textzeile und von der Glam-Ära inspiriert. Erinnert ihr euch noch an eure schönsten Top-Of-The-Pops-Momente?

Joe: Ich habe „Top Of The Pops“ ja schon lange geschaut, bevor T-Rex dort auftraten. Da war Norman Greenbaum groß mit ›Spirit In The Sky‹ oder Thunderclap Newman, aber am besten erinnere ich mich an ›Ride A White Swan‹ und ›Hot Love‹ und natürlich ›Get It On‹ und ›Jeepster‹.

Rick: Das war einfach so aufregend, weil das Farbfernsehen aufkam und die ganze Pracht von Bands wie Slade oder den Baycity Rollers oder Sweet transportiert werden konnte. Das war ein echter Wow-Effekt, ein ganz neuer Aspekt zusätzlich zur Musik.

Joe: Was natürlich von den Managern und Bossen genutzt wurde. Man musste plötzlich auf grelle Farben setzen. Schau dir nur mal den Wettkampf zwischen Bands wie Sweet und Slade an.

Man erinnert sich da gerne an Dave Hill und Steve Priest mit seinem „gay Hitler“ Kostüm.

Rick: Ja! Jede Woche musste mindestens einer aus der Band noch außergewöhnlicher, fast schon außerirdischer aussehen als die Band, die vorher dran war. (lacht)

Joe: Steve Priest ist ein tolles Beispiel. Sweet waren damals mit ›Co-Co‹ oder ›Wig Wam Bam‹ im Fernsehen und sie sahen aus wie… Puh, wie sagt man das heute? Indigene Menschen. Federschmuck und so etwas. Und zwei Jahre später geht er als Hitler auf die Bühne! (lacht) Heute unvorstellbar, aber ich erinnere mich nicht daran, dass das damals für einen Aufschrei gesorgt hätte.

Er hat sich einfach einen Scherz erlaubt, wir haben alle gelacht. Heutzutage erscheint einem so etwas falsch, aber damals war das eben so.

Rick: Das war ja das Schöne an „Top Of The Pops“. Als Kinder und Teenager war das unser wöchentliches Ventil. Eine tolle Show, für uns war das fantastisch.

Joe: Die zwei Auftritte dort, die mich am meisten beeindruckten, waren T-Rex mit ›Get It On‹, als Elton John auf diesem weißen Klavier spielte. Und Bowie mit ›Starman‹. Gerade erst hatten wir Farbfernsehen bekommen und da stand Bowie in dem grünen Anzug mit rotem Haar, was sonst einfach nur nach grau in grau ausgesehen hätte. Bolan mit lila Hosen und Glitzer im Gesicht, Federboa, Frauenschuhen. Ich hatte nie Gedanken wie: ‚Oh, sind die schwul?‘, sondern das sah einfach theatralisch aus. Das war Vaudeville 1972, eine neue Kunstform. Es war fremdartig und schockierte unsere Eltern, also genau das, was du als Teenager willst! (lacht)

Warum habt ihr euch also dazu entschieden, diesen Spirit im Albumtitel zu channeln?

Rick: Vieles läuft ja unterbewusst ab, aber vieles von dem, was Def Leppard ausmacht, vor allem auf dem neuen Album – der Sound, die Arrangements – geht auf diesen Vibe aus den 70er Jahren zurück, egal ob man da nun an Elton John oder die Eagles oder auch an einige der Glam-Bands denken möchte. Dazu fühlen wir uns einfach hingezogen. In der Zeit zwischen ’71 und ’74 wurden wir stark geprägt, für manche von uns war es das erste Mal, dass wir uns wirklich mit Musik beschäftigten und uns einer Szene zugehörig fühlten. Das bleibt dir für den Rest deines Lebens, egal wie alt du bist. Es wird immer diese eine Ära bleiben. Und die hat sich in unsere DNS eingebrannt.

Joe: Ich denke, jeder Musiker existiert nur wegen eines anderen Musikers. Wenn du ein zwölfjähriger Pete Townshend bist, dann greifst du wegen Bo Diddley zur Gitarre. Und daran orientierst du dich, bist du entdeckst, dass du eigenständig sein kannst. Im Leben eines Musikers wird irgendwann der Punkt erreicht, wo du nicht mehr in die Vergangenheit blickst, wo du nicht mehr klar eine gewisse Band oder Zeit zitierst und dann schauen dich die Leute meistens erst einmal komisch an. Als wir beispielsweise SLANG herausbrachten, meinten viele, dass wir versuchten, auf den Grunge-Zug aufzuspringen. Das stimmte aber gar nicht, wir versuchten einfach nur, mal nicht Def Leppard zu sein. Weil wir dieses Ding mit den übergroß produzierten, massiven Hit-Platten schon mehrere Male durchexerziert hatten. Wir dachten uns: ‚Was sollen wir nur als nächstes machen? Wir können doch nicht immer dasselbe wiederholen!‘ Also reduzierten wir alles ein wenig, gaben dem Album die Atmosphäre eines rohen Demos mit weniger Harmonien und etwas düstereren Texten. 1996 waren wir schließlich alle Mitte 30 und hatten inzwischen Dinge erlebt wie die Geburt eines Kindes, Scheidung oder den Tod eines Elternteils. Das waren alles Themen, über die wir schreiben wollte. Als David Bowie EARTHLING veröffentlichte, wurde er dafür in der Luft zerrissen, weil er sich bei Drum & Bass bediente. Ich finde, er hat das schon auf MAN WHO SOLD THE WORLD getan, um ehrlich zu sein, aber davor hatte er immer Grenzen eingerissen, er war der, von dem sich Menschen inspirieren ließen. Plötzlich hatte er damit aufgehört und wurde kritisiert, wo er doch eigentlich nur seinen eigenen Backkatalog unter die Lupe genommen und aufpoliert hatte. Wir haben wirklich nie versucht, die Ideen anderer zu stehlen. Stell dir doch nur mal eine Drum-And-Bass-Def-Leppard-Platte vor! (lacht) Da sehe ich uns wirklich nicht, auch wenn es gerade im Trend liegen würde. Also bleiben wir bei unseren Leisten und fragen uns: was hat uns zur Musik gebracht? Und die Antwort darauf ist klar: die 70er! Alles was wir tun können, ist diese Referenzen einfließen zu lassen und all das, was wir seitdem gelernt haben, damit es sich nicht exakt nach einem Album aus dieser Periode anhört, sondern wie eines, das davon beeinflusst ist. Außerdem ist es auch wichtig, nicht nach einem einzigen anderen Künstler zu klingen. Bei uns sind all jene Band, die Sav schon aufgezählt hat, wichtig. T-Rex, Pink Floyd, The Sweet… wir nehmen alle guten Anteile dieser Künstler, machen sie uns zu eigen und spielen damit.

Ihr seid jetzt 45 Jahre in dieser Band. Kann man das mit einer romantischen Beziehung vergleichen?

Joe: Naja, es ist wie eine fucking seltsame Ehe, das kann ich dir sagen. (lacht)

Sav: Aber es ist einfacher, sich aus einer Ehe scheiden zu lassen. (lacht)

Wenn wir in diesem metaphorischen Kontext bleiben: Wie erhält man die Spannung aufrecht, was muss man tun, damit das Sexleben nicht einschläft?

Sav: (lacht) Im Grunde reicht die Liebe zur Musik und gegenseitiger Respekt. Und der Respekt für die Vorlieben und Einflüsse jedes Einzelnen, der beteiligt ist. Wir haben viele Schnittstellen, aber auch Bereiche, die jedem alleine gehören. Das zu respektieren ist grundlegend. Man muss die Energie aufrecht erhalten, die Energie, immer noch auf die Bühne gehen und neue Songs erschaffen zu wollen. Das war für uns immer mehr als genug, um alles am Laufen zu halten. Und das 45 Jahre lang. Natürlich muss man auch sagen, dass wir nicht im selben Haus leben. (lacht) Wir haben genügend Freiräume, um abseits von Def Leppard zu stromern und zu tun, was immer wir tun wollen, egal ob mit unseren Familien oder anderen Karriereoptionen. Genau deswegen ist es erst so schön, immer wieder zurückkehren zu können und das, was wir sind, wiederzubeleben. Wir fünf in einer Band, das ist besonders. Wirklich und ehrlich besonders.

Joe: Wir haben einfach die Energie, um weiterzumachen. Viele Legacy-Bands – und ich denke, das sind wir inzwischen nun mal – wollen keine Musik mehr machen oder ihre Manager raten ihnen davon ab, weil es profitabler ist, sich auf den Backkatalog zu konzentrieren. So funktioniert das für uns aber nicht. Sooft wir Def Leppard sein wollen, können wir Def Leppard sein, aber es ist eben auch genug Zeit für unsere anderen Projekte. Musikalisch wie auch im Schlafzimmer kann man wohl sagen: Versuche, das Ganze frisch zu halten! (lacht)

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