Es donnert bedrohlich, als man Arthur Brown im virtuellen Raum
antrifft. Obwohl das Gewittergrollen zum Image der Kultfigur, des
legendären God Of Hellfire passt, ist der 80-jährige Ausnahme-künstler privat ganz anders, als es seine extrovertierten Bühnen-figuren vielleicht vermuten lassen. Die Ikone, die den Verlauf der Rockmusikhistorie mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Poesie, Theater, Blues, Heavy Rock, Elektronik und Psychdelic geprägt und zahlreiche Künstler wie Alice Cooper oder Bruce Dickinson nachhaltig beeinflusst hat, gibt sich nachdenklich, nahbar und sehr freundlich – und gewährt im Gespräch über das neue Album LONG LONG ROAD interessante Einblicke in die Denkweise, das Leben und Privatleben eines künstlerischen Chamäleons.
Es donnert bedrohlich, als man Arthur Brown im virtuellen Raum antrifft. Obwohl das Gewittergrollen zum Image der Kultfigur, des legendären God of Hellfire passt, ist der 80-Jährige Ausnahmekünstler privat ganz anders, als es seine extrovertierten Bühnenfiguren vielleicht vermuten lassen. Die Ikone, die den Verlauf der Rockmusikhistorie mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Poesie, Theater, Blues, Heavy Rock, Elektronik und Psychdelic geprägt und zahlreiche Künstler wie Alice Cooper oder Bruce Dickinson nachhaltig beeinflusst hat, gibt sich nachdenklich, nahbar und sehr freundlich und gewährt im Gespräch über das neue Album LONG LONG ROAD interessante Einblicke in die Denkweise, das Leben und Privatleben eines künstlerischen Chamäleons.
Wie nahm LONG LONG ROAD Gestalt an?
Der Titel bezieht sich auf verschiedene Gegebenheiten. Ich werde im Juni 80 und das ist durchaus ein langer Weg. Außerdem arbeite ich mit Rik Patten, der für den Großteil der Instrumentierung und Musik auf diesem Album zuständig ist, seit etwa 20 Jahren, was auch eine lange Zeit ist. Zudem nehme ich mit dem Sound auf der Platte Bezug auf meine Blueswurzeln. Da sind also all diese langen Wege. In dem Boxset, das es zum Album gibt, ist auch ein Buch enthalten, das diesen langen Weg als Baum darstellt. Bei einem Baum hast du die Wurzeln unter der Oberfläche. Der Boden besteht – so sehe ich das – aus den Medien, dem Radio, all diesen Geschichten und die Wurzeln zeigen, wo meine Entwicklung begann, wie meine Musik Form annahm, wo meine Einflüsse lagen. Als ich ein kleines Kind war, lebte ich in Whitby nahe der Küste, wo Dracula geschrieben wurde, und dort hörte ich all die Rhythmen des Meeres, der Möwen und des Windes. Die Hütehunde, die auf die Schafe aufpassten und das Stampfen der Pferde – all das ist Teil meiner Musik, genauso wie die Takte, welche die Dampflokomotiven damals vorgaben. Eine Mischung aus mechanischen und natürlichen Rhythmen. All das ist Teil der langen Straße, die mich bis hierhin geführt hat.
Erinnerst du dich auch noch an die erste Musik, die dich berührt hat?
Mein Vater war ein Pianist, er improvisierte viel. Er hatte einen alten Phonographen mit einer großen Metall-Nadel und da hörte ich erstmals wiederholt Musik. Klassische Musik von Peer Gynt und Dame Clara Butt [singt in hoher Opernstimme etwas vor]. Dann gab es die Syncopators aus Miami, eine Jazz-Kapelle. Hinzu kam das Radio und – weil es kurz nach dem Krieg war und immer noch Krisen im Suez-Kanal gab – Musik, die die Leute, die gerade woanders stationiert waren, nachhause schickten, So hörte man manchmal ein Stück von einer anderen Ecke der Welt, das nicht in englischer oder amerikanischer Tradition stand, das war sehr spannend.
Der Titeltrack des Albums ist sehr hoffnungsvoll, er handelt von menschlichen Entscheidungen und Liebe…
Wenn man sich die Traditionen und Erzählungen weltweit anschaut, wird dort oft eine Zyklizität der Zeit erwähnt. Es gibt immer Krieg, dann folgt eine Periode des Friedens, danach kommt der Kollaps und wieder Krieg. Wir befinden uns gerade an demselben Punkt. Man merkt, dass wir immer noch von denselben Mustern in unseren Köpfen und Herzen bestimmt werden, ansonsten könnte die Geschichte ja auch mal anders verlaufen. In ›Long, Long Road‹ singe ich ja „listen to the story of all our history, we need a new mind“. Wenn wir immer nur dieselben Lösungen und Grundpfeiler anwenden, dann bleibt alles gleich. Doch wenn wir uns ein neues Mindset zulegen, dann muss das in der breiten Masse geschehen. Ein Beispiel: Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in England für etwa sechs Monate eine Periode, als viele Menschen etwas von ihrem eigenen Besitz abgaben, um anderen zu helfen. So konnte das Land funktionieren. Aber nach nur einem halben Jahr kehrten die Leute wieder zu ihrer ursprünglichen Denkweise zurück, nach dem Motto: ‚Naja, warum sollte ich etwas von meiner Extraportion abgeben, ich will das behalten.‘ Ich denke, wo alles seinen Anfang nimmt, ist in der Schule, dort, wo du mit vielen anderen sozialisiert wirst und lernst, was wichtig ist, auch wenn du von deinem Elternhaus schon eine gewisse Prägung erfahren hast. Leider wissen wir, dass viele große Firmen mit ihrer PR heute schon sehr junge Menschen in den Fokus nehmen und ihnen den Konsumterror in das Hirn pflanzen. Am Ende sind wir alle gehirngewaschen. Wenn wir auf die Schulen blicken: Lernen wir den Kindern, gute Menschen zu sein oder lehren wir, wie sie mehr und mehr Geld verdienen können? Wenn wir die menschliche Seite außer Acht lassen, zerstören wir Natur und Kultur.
Ich bin da leider nicht sehr zuversichtlich, muss ich gestehen.
Wenn du du selbst bist und versuchst, dich im Inneren zu ändern und das praktizierst, was dir dabei hilft, nicht von Geiz und Geld regiert zu werden, dann werden diese Muster in dir selbst da sein, auch wenn es vielleicht keine Hoffnung mehr gibt. Das ist eine Änderung, die du vollziehen kannst und von der du nicht weißt, was sie bewirkt. Du kannst mit dir selbst im Reinen sein und weißt, dass du dich mit dir und deiner Umwelt auseinander gesetzt hast. Du kannst deinen Geist flexibler gestalten, dir deiner dunkleren Seite bewusst werden. So handhabe ich das und dann: wer weiß.
Das Artwork zeigt deinen ikonischen, brennenden Kopfschmuck, dein größter Hit drehte sich ebenfalls um dieses Element: Was bedeutet Feuer für dich?
Es hat viele Bedeutungen. Natürlich spendet es Licht und Wärme. Wenn ich Feuer betrachte, wie ich es als Kind tat, dann schaut man durch die Flammen und sieht sehr viel Bewegung, bis man irgendwann durch die ganze Bewegung hindurch das Herz des Feuers sieht. Selbiges ist weiß oder golden und steht still – und dann wird dein Geist plötzlich genauso still. Das funktioniert also wie ein Portal, eine spirituelle Kraft. Natürlich hat es auch eine dunklere Seite inne und eine reinigende Wirkung wie das von vielen als Höllenfeuer bezeichnete Feuer. Der Gott des Höllenfeuers ist ein Charakter des Albums [die Rede ist vom Debüt von The Crazy World Of Arthur Brown aus dem Jahr 1968. Anm. d. Red.], der nächste Song ist ›Come And Buy‹ und skizziert den Gegenspieler, das Licht, die Schönheit, all das.
Auch auf LONG LONG ROAD spielt das Feuer eine Rolle, zum Beispiel in ›Going Down‹, meinem Lieblingssong auf dem Album.
Ich interessierte mich sehr für Gospelmusik, als ich in Amerika war. Die Art, wie man Menschen direkt anspricht und sie so aufweckt – ich liebte die Energie, die dort freigesetzt wurde. Das wollte ich in dem Lied bündeln. Dann geht es auch darum, dass jemand einen dunklen Pfad wählt und nicht weiß, wie er davon wegkommen soll. Also ruft dieser jemand nach Hilfe. Das ist auch Teil der Gospel-Gottesdienste. Man preist nicht nur, man setzt sich auch mit den Dämonen auseinander.
Du bist ein sehr spiritueller Mensch. Wie sieht dein Konzept von Gott, von Gut und Böse aus?
Gott ist ein Wort, das wir benutzen. Jeder hat eine andere Sichtweise auf seine Bedeutung. Es ist schwer, hinter das Wort zu gelangen. Was steckt hinter der Erschaffung aller Dinge? Was steckt hinter Wandel? Wenn Gott ein erschaffendes Wesen ist, dann passiert alles in dem Wesen und alles ist daraus gemacht, doch man kann es nicht greifen oder sich in seiner Gänze vorstellen. Nur in Symbolen darstellen. Ich denke Gott ist Liebe, Gott ist alles, was wir sehen und nicht sehen können, eine nicht zu beschreibende Größe. Aber man kann Gott spüren und wissen, dass nichts außerhalb oder innerhalb deiner Seele ohne Gott existiert. Und gleichzeitig gibt es kein außen und innen, es geht nicht, dass ich hier bin und Gott dort drüben.
LONG LONG ROAD erscheint an deinem 80. Geburtstag. Bedeutet diese Zahl dir etwas?
Das ist seltsam. Wenn du gerade im Flow des Lebens, des Musikmachens, der Beziehungsführung bist, dann denkst du oft gar nicht an das Alter. Und dann merke ich manchmal, dass mein Geist etwas langsamer arbeitet als früher, oder plötzlich eine kleine Pause zwischen Frage und Antwort ist, wo früher keine war. An guten Tage fühle ich mich ehrlich gesagt ziemlich jung. (lacht) Doch dann gibt es auch diese Tage, wo ich bemerke, dass mein Körper schmerzt oder krank wird. Dann wird mir bewusst, dass dieser Körper eines Tages nicht mehr hier sein wird und gleichzeitig bin ich überrascht, dass er nach 80 Jahren noch existiert. (lacht)
Ängstigt dich dieser Gedanke an den Tod?
Nein, das macht mir nichts aus. Wenn wir uns im Himmelreich mit unseren Liebsten wiederfinden, ist das schön, wenn man aufwacht und es gibt nichts, ist das okay oder wenn man gar nicht mehr aufwacht, ist das auch in Ordnung.
Du hast großen Einfluss genommen auf die Rockmusikgeschichte. Bis heute sind deine Werke abseits des Mainstream relevant, du agierst in einem eigens von dir geschaffenen Universum und kopierst dich nicht selbst. Woher kommt der kreative Hunger nach all der Zeit, warum denkst du dir nicht einfach: ‚Ach, ich bin jetzt 80 Jahre alt, leckt mich einfach!‘?
(lacht) Ich habe eine Neigung zum Geschichten erzählen. Das Gedächtnis speichert Dinge, die vor langer Zeit passiert sind, oft besser ab als Ereignisse, die kürzlich geschehen sind. Was mir wichtig ist: Der Genuss des Moments und die Möglichkeit, aus vorgegeben Strukturen auszubrechen. Und genau das tust du, wenn du dein Leben oder deinen Partner liebst. Sobald du das, was du tust, liebst, ist es etwas Neues und das hält dich frisch. Ein Song in unserer Stageshow enthält die Zeile „it’s a great game to find that you’re still going strong“. Darum geht es doch, um den eigenen Fokus und der sollte im Moment sein. Wörter sprudeln hervor, Noten kommen aus dir heraus. (lacht) Im Grunde ist das nichts anderes als ein Spiel, selbst wenn es um ernste Stücke geht. Und an dem jetzigen Punkt in meinem Leben habe ich das Glück, Claire gefunden zu haben. Sie ist meine Managerin, aber auch meine Partnerin. Wir sprechen über all diese Dinge, wir sorgen füreinander.
Wo wir wieder bei der Liebe wären!
(lacht) Ja genau.
Du bist also noch lange nicht müde?
Nein, solange man einen guten Weg hat, um die eigene Musik, die eigene Performance, den eigenen Alltag oder eben die eigene Beziehung zu gestalten, wird man nicht müde. Ich denke da an unseren Garten. Claire und ich lieben es, zu gärtnern. Ich wässere und schneide zu, Claire hat ein ausgeprägtes Pflanzenwissen und ein tolles Auge für Farbkompositionen.
Deine Stimme ist nach wie vor sehr kräftig: Wie hältst du dich fit?
Ich singe täglich, weil ich es gerne tue und weil man die Muskeln trainieren muss. Außerdem meditiere ich, was mir dabei hilft, meinen Körper auszuruhen und frisch zu halten. Dann mache ich noch diverse Übungen, um fit zu bleiben. Nicht, dass ich jetzt mit Gewichten hantiere, aber ich darf nicht rosten. Claire hört übrigens viel Musik auf TikTok und da gibt es viele gute Sänger und Sängerinnen. Das kitzelt meinen Ehrgeiz und ich versuche noch mehr, meine Stimme auch in Form zu halten. (lacht) Singen ist für mich einfach nach wie vor ein großes Vergnügen, genauso wie die Bühnenperformance. Das trainiert den ganzen Körper und die Momente auf der Bühne sind für mich von absoluter Freiheit geprägt. Alles ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, eine wundervolle Erfahrung.
Was hält die nahe Zukunft für dich bereit?
Ein neues Album ist schon aufgenommen. Außerdem steht eine Tour an mit einer tollen, kreativen Multimedia-Show, wo die Visuals auf die Musik abgestimmt sind. Sehr dramatisch und theatralisch. Ein paar Termine in Deutschland sind auch geplant.