Todgeil auf Leder: das (fast) komplette Vermächtnis der NWOBHM-Speerspitze.
13 cm x 13 cm x 8 cm misst die handlich quadratische Box mit sämtlichen Alben der 1970 in Birmingham von Gitarrist K.K. Downing und Bassist Ian Hill auf den Weg gebrachten Band. Ein ganzes Künstlerleben findet sich da fein säuberlich chronologisch abgepackt auf wenig Platz. Nein, nicht ganz. Im Reigen aus 14 Studioalben und drei Konzertmitschnitten fehlt jenes Material, als Sänger Rob Halford eine Auszeit nahm und Ersatz Tim „Ripper“ Owens den Platz überließ. Doch der Reihe nach: Experimentell und erfrischend unfertig oszilliert das von Rodger Bain (u.a. Black Sabbath) produzierte Debüt ROCKA ROLLA von Art bis Hard Rock mit den überlangen ›Run Of The Mill‹ und ›Winter‹ als Glanzstücken – zu diesem Zeitpunkt ist die Besetzung mit den Neuzugängen Rob Halford, Gitarrist Glenn Tipton und Schlagzeuger John Hinch erst wenige Monate alt. Nach ganz ähnlichem Strickmuster funktioniert zwei Jahre später SAD WINGS OF DESTINY mit der atypischen Crooner-Ballade ›Epitaph‹, aber auch Black Sabbath nachgeeiferten Krachern wie ›Tyrant‹, ›The Ripper‹ und ›Victim Of Changes‹. Bewegung kommt in die internationale Karriere, als Judas Priest das Management und von Gull Records zu Columbia wechseln. SIN AFTER SIN platziert sich mit der kristallklaren Produktion von Roger Glover auf Rang 23 der UK Charts. ›Sinner‹ eignet sich zur Blaupause späterer Hymnen. Mit ›Diamond And Rust‹ von Joan Baez glückt die erste von einer Reihe weiterer eigenwilliger Coverversionen. 1978 erfolgt die Wende: Was STAINED GLASS mit ›Exciter‹, ›Invader‹ und Spooky Tooths ›Better By You, Better Than Me‹ anstrebt, führt das noch stromlinienförmigere KILLING MACHINE (US-Titel: HELL BENT FOR LEATHER) mit ›Take On The World‹, ›Rock Forever‹ und Fleetwood Macs ›The Green Manalishi (With The Two-Pronged Crown)‹ konsequent fort. Nach künstlerischem Aus von Deep Purple und Black Sabbath etablieren sich Judas Priest in Europa als hartmetallische Runderneuerer. Der Durchbruch in Großbritannien erfolgt 1979 mit dem Konzertmitschnitt UNLEASHED IN THE EAST, zementiert wird er ein Jahr später von BRITISH STEEL: Subversiv Provokantes (›Breaking The Law‹) wechselt mit Splatterhorror (›Grinder‹), Parodistischem (›Metal Gods‹) und Zweideutigem (›Living After Midnight‹). Mit dem allmählichen Durchbruch in den USA geraten die Alben von nun an radiofreundlich hitverdächtig bis formelhaft kommerziell. POINT OF ENTRY(’81), SCREAMING FOR VENGEANCE (’82), DEFENDERS OF THE FAITH (’84) und TURBO (’86) gehen als Platinjahre in die Bandvita ein, werfen in souveräner Routine jeweils Hits wie ›Heading Out To The Highway‹, ›You’ve Got Another Thing Comin’‹ und ›Locked In‹ ab und vergessen auch nicht die obligatorische Ballade. Mit Doppelplatin in den USA und fünf Millionen Kopien weltweit bleibt SCREAMING FOR VENGEANCE bis heute unangefochtener Klassenprimus. PRIEST… LIVE! liefert eine weitere Konzertvisitenkarte mit US-Aufnahmen von 1986. RAM IT DOWN hämmert sich per Drum Machine (Schlagzeuger Dave Holland kränkelt!) 1988 in Lichtgeschwindigkeit wie eine Parodie auf Spinal Tap durch Plattitüden wie ›Heavy Metal‹, ›Monsters Of Rock‹, ›Hard As Iron‹ und Chuck Berrys ›Johnny B. Goode‹. Das Konzeptwerk um einen Messias, eine stilistische Neuorientierung und Schlagzeugneuzugang Scott Travis stecken hinter PAINKILLER von 1990, Ausflüge ins Genre Speed Metal inklusive – das seit Jahren beste Werk. Rob Halford geht 1992, wird auf zwei Alben von Tim „Ripper“ Owens ersetzt, kehrt erst 2005 für das nostalgische und handwerklich grundsolide ANGEL OF RETRIBUTION zurück. Hierzulande platzieren sich sowohl das Wiedervereinigungswerk als auch dessen mit symphonischer Orchestrierung, Keyboardeinsatz und Chorpassagen ambitionierter 2-CD-Nachfolger NOSTRADAMUS (’08) zu recht jeweils auf Platz fünf der Charts. Konzertmischmasch der Jahre 2005 bis 2008 offeriert A TOUCH OF EVIL: LIVE – danach verlässt Gründer K.K. Downing seinen Posten.