King Crimson gelten als studierte Virtuosen, doch in den 70ern, als sie ihre brillante Liveshow auf Tour perfektionierten, waren Sex, Drugs & Rock’n’Roll für sie beileibe keine Fremdwörter.
Rom, November 1973, Palazzetto dello Sport. King Crimson haben gerade den Soundcheck für ihr ausverkauftes Konzert am Abend beendet. Während Robert Fripp, David Cross und Bill Bruford in den Backstage-Bereich gehen, um sich vorzubereiten, legt John Wetton noch letzte Hand an seine Einstellungen an. „Der Sound-check war vorbei, ich gab unserem Roadie meinen Bass und wollte gerade die Bühne verlassen, als diese 15-Jährige zu mir kam. ‚Mein Name ist Lorena‘, sagte sie. ‚Mein Bruder ist hier, weil ich einen Aufpasser brauche. Ich würde dich gerne heiraten.‘ Was zur Hölle?“ Damals, in der Heimat wie im Ausland, gab es ganze Legionen von Mädchen, die von Halle zu Halle zogen, um ihrem Lieblings-Popstar ihre unsterbliche Liebe zu erklären. Aber bei King Crimson, so Prog, wie man nur Prog sein kann? John Wetton gestand, dass es nicht so sehr das Anliegen an sich war, das ihn entsetzte, sondern die potenzielle Gefahr der Situation. „Ich lachte etwas nervös, doch sie sagte mir, sie meine es ernst und dass ihr Bruder das bestätigen würde. ‚Ich habe eine formelle Anfrage meiner Familie, dass du mich heiratest.‘
Es gelang mir, den Bruder zu besänftigen, der aussah, als würde er mich an Ort und Stelle umbringen, wenn ich Nein sage, und ein paar Momente lang spielte ich mit. Es war unfassbar. Die Security war noch nicht da, weil es noch mehrere Stunden bis zum Gig waren. Dann ging ich und ließ jemand vom Management dem Mädchen und ihrem Bruder sagen, dass wir diese Anfrage bedenken würden. Sie meinte es wirklich todernst. Das war schon unglaublich. Progressiver Feminismus existierte 1973 in Italien nicht. Männer legten sich da noch auf den Bürgersteig, um unter Miniröcke zu schauen. Dass dieses Mädchen es schaffte, ihren Bruder zum Gig zu schleppen und – mit der Erlaubnis ihres Vaters – offiziell darum zu bitten, dass ich sie heirate … ich meine, das ist schon außerordentlich. Ich war völlig perplex! Aber solche Sachen passierten bei Crimson ständig.“
Trotz ihres Rufes als ernsthafte Intellektuellen-Musiker erlebten auch King Crimson sehr wohl das Berufsrisiko des Tourfiebers. Sie gingen zwar nie so weit, Fernseher in Swimmingpools zu werfen oder Hotelzimmer zu verwüsten, aber sie benahmen sich keineswegs immer wie brave Chorknaben. „Wie damals in Avignon“, sagte Wetton, der sich an den Besuch in einem rustikalen Gasthof am Rand der wunderschönen alten Stadt in Frankreichs Südosten erinnerte. „Crimson waren in demselben Hotel untergebracht, wo ich schon als Mitglied von Family gewesen war und wo wir eine Essensschlacht veranstaltet hatten. Für Family war das jeden Abend die Normalität. Aber nicht für King Crimson.“ Nach dem Einchecken gingen Wetton und seine Kollegen zum Abendessen in den Speisesaal. „Ich erwähnte nur beiläufig diese Essensschlacht mit Family und dann ging das mit Crimson auch los! Alle in der Band und der Crewbewarfen einander mit Essen – Eiscreme, Leberwurst, Foie gras, egal was. Der arme Oberkellner stand nur völlig verwirrt da. Er war nicht wütend, erdachte nur: ‚Was zum Teufel ist mit diesen Typen los? Wir hatten schon mal eine Band aus England hier, die dasselbe tat‘. Zum Glück erkannte er nicht, dass ich das Bindeglied war.
“Solches Benehmen war für Rockbands auf Tour nicht ungewöhnlich, aber King Crimson hatten definitiv einen gewissen Ruf. „Diesbezüglich bekommen wir sehr schlechte Presse“, erklärte Wetton. „Wir wären nicht Rock’n’Roll, wir seien zu streberhaft oder so. Das trifft nicht wirklich zu. Wir taten das nur auf andere Weise, und wenn keine Journalisten anwesend waren, wie in Avignon. Tatsächlich waren Crimson sehr Rock’n’Roll. Da war einiges am Laufen, das versichere ich dir. Sex, Drugs & Rock’n’Roll hatten auch wir, und zwar nicht zu knapp, wenn auch vielleicht nicht in dem Maße wie Black Sabbath. Und wir wurden nicht in diese Schublade gesteckt. Wegen der technischen komplexen Natur unserer Musik dachten die Leute wahrscheinlich, Crimson seien eher bieder und brav. Doch das war nicht der Fall.“
Es gibt noch andere Geschichten von wesentlich ausgefalleneren Backstage-Eskapaden auf der langen Liste aller Crimson-Gigs, die man nicht drucken kann. Doch jeglicher Blick auf die großen Headliner-Bands jener Ära wird unweigerlich offenbaren, dass die zwei engen Verwandten des Rock’n’Roll – Sex & Drugs – nie weit weg waren. Neben all den fleischlichen Vergnügungen wurde das Kokain bald allgegenwärtig – auch wenn man festhalten sollte, dass das nicht für jedes Bandmitglied galt. „Was auf Tour passiert, bleibt auch da“ Das war vielleicht damals für viele Bands eine goldene Regel, doch niemand schien Robert Fripp davon in Kenntnis gesetzt zu haben. Nur wenige Wochen vor Wettons Heiratsantrag in Rom ließ der Anführer und Gitarrist von King Crimson sowohl im „NME“ als auch im „Melody Maker“ verkünden, dass er offen für die Avancen aller jungen Damen sei, die interessiert wären. Und das, obwohl er zugab, dass die Anzahl derer, mit denen er schon Verkehr gehabt hatte, in seinen eigenen Worten „etwas exzessiv“ war.„ Sexualität zieht sich durch meine gesamte Arbeit“, erklärte er damals verdutzten Journalisten. (Text: Sid Smith. Aus CLASSIC ROCK #97)